Dienstag, 16. Juni 2009

Spiegelstadium

Im Sommer hingen die Bauern Streifen aus Aluminiumpapier in die Bäume, um diebische Vögel zu vertreiben. Im ersten Jahr blieben sie fern, im zweiten beobachteten sie argwöhnisch, im dritten wagten sie sich heran, im vierten amüsierten sie sich darüber und erblickten an windstillen Tagen ihr Spiegelbild voll Erstaunen in dem Metall.

Heiligenstadt, 6ter Oktober 1802

Ludwig van Beethoven hat nach der Ertaubung seine Gespräche mit dem Stift in Konversationshefte gekritzelt. Darum weiß man, dass er zuweilen ein sehr unfreundlicher Mensch sein konnte. Mich hatte das nicht gewundert. Vielmehr hatte mich gewundert, dass auf diese Weise Teildialoge entstanden sind, die in ihrer Kürze und Schärfe nie zuvor auf dem Papier festgehalten worden waren. – Die Konzentration ist eine seltene Kunst. Das versammeln aller Kräfte auf kleinstem Raum.

Vor kurzen las ich, dass man nach Piet Mondrians Tod nur sieben Bücher in seinem Atelier fand. Das scheint mir bewundernswert. – Auf eine bestimmte Weise hat auch hier eine Konzentration stattgefunden.

Der Abend fällt durchs Fenster, das Dämmerlicht umgibt den Körper, der in angenehmer Temperatur weder Hitze noch Kälte empfindet. Das alles ist eine Webarbeit, eine Arbeit mit der Materie, die ich in Berührung nicht fassen kann, die jedoch in Bewegung erfahrbar wird. Kein Geheimnis umgibt dieses unperfekte Perpetuum Mobile, sondern nur das schwindende Licht, die Abwesenheit von jeglicher Erfahrung, die Abwesenheit eines Planes.

Und auch die Sätze sind auf eine helle Weise Ohren, die nicht nur aus der Welt nehmen, sondern auch in sie hinein stehen. Das zu begründen fällt leicht.
In der Dunkelheit existiert der eigene Körper nur als Gefühl, als unzerstörbares Ganzes. Das ist tröstlich und schützt vor der Angst. – In mancher Musik wird die Präsenz eines anderen Körpers spürbar. Plötzlich und ganz unmittelbar. Diese Erfahrung ist wie ein Wunder. Es bleibt ohne Ankündigung und ohne Beweis.