Sonntag, 4. Dezember 2011

BWV 1007–1012

Ich kenne sie seit vier oder fünf Wochen, kenne sie, seit ich gefragt habe, ob ich ihr zuhören dürfe. Still saß ich dann bei ihr, ließ die Zeit verstreichen, während sie ihre Kadenzen strich, ihre Übungen machte, oder kleinere Passagen repetierte. Ausgeruht fanden ihre Finger den Weg über die Saiten, flog der Bogen seinen fremden Kurs, und ihre Augen waren kleine Vögel, in jenem neonbeleuchteten, kargen Raum mit den beigen Tapeten und dem grauen Linoleumfußboden. Zuweilen betrachtete ich ihr Spiegelbild im kalten Klavierlack, ihre energischen Bewegungen, so beneidenswert kontrolliert, ihre Gesten, so seltsam distanziert.
Und an ihr maß sich meine Stille, meine Reglosigkeit, mein Schweigen, an ihr maß sich, wenn sie spielte, die Welt. Ich sage dies nicht einen Moment unter dem Eindruck von Hingezogenheit, nein, ich will sie nicht näher kennenlernen, nicht besser, nicht anders sehen, als in diesem kargen Übungsraum mit ihrem Cello, diesen fliegenden Augen.