Donnerstag, 31. Mai 2012

Keep it real: Klassenkampf reloaded


Die letzten 10 Jahre sahen in Westeuropa mehr Revolten, mehr Aufstände als die 1960er und 1970er. 
Einige Beispiele: 
I. Segregation und Ghettoisierung bleiben in Frankreich nicht ohne Folgen. Ab 2005 brennen die Pariser Banlieus: blind explodierende Gewalt ist der Ausdruck lange schwelender Wut, die auch in mindestens fünfzehn anderen Départements zu Ausschreitungen führt. 
II. Die 2006 beginnenden Revolten um den Erhalt des Ungdomhuset in Kopenhagen ziehen einen Graben durch die Dänische Gesellschaft. 
III. Die griechischen Proteste aus dem Jahr 2008, nach der Erschießung eines 15jährigen durch die Polizei, die sich in Athen zu Demonstrationen mit bis zu 150.000 Teilnehmern auswachsen – dazu ein 48stündiger Generalstreik –,  richten sich gegen die aktuelle Globalisierungs- und Wirtschaftspolitik und eine Gesellschaft die soziale Gerechtigkeit nicht einmal mehr buchstabieren kann. Im Gegenzug präsentieren uns deutsche Medien den „faulen Griechen“, für den wir alle zahlen sollen. Das System Europa braucht immer einen Schuldigen. Und es beruhigt das Prekariat, wenn es – abgelenkt von systemischen Fehlern – den Schuldigen im Fremden erblicken kann. (BILD: „Die Griechen machen unseren Euro kaputt!“)*
IV. Schließlich ab Mai 2011 die Massendemonstrationen in Spanien, 70 Städte sind betroffen, Hunderttausende sind unterwegs gegen eine Politik die Milliarden für die Rettung von Großbanken verbrennt, aber weder in Bildung noch soziale Gerechtigkeit investieren kann. Nach fast zwei Wochen friedlichen Widerstands, räumt die spanische Polizei den Plaza de Cataluna in Barcelona, 120 schwer verletzte Demonstranten sind die Folge. Begründung: Der Platz solle für Reinigungskräfte frei gemacht werden.

Die Natur dieser unterschiedlichen Formen des Aufbegehrens lässt sich nicht vergleichen. Diejenigen, die zum Angriff übergehen, sind keine homogene Gruppe, das Mittel der Gewalt gegen Menschen, egal von welcher Seite, nicht zu rechtfertigen. Doch eine Eskalation funktioniert fast immer nach dem Ping-Pong-Prinzip.
Die Fassade des sozialen Friedens in Europa bekommt Risse. Die westlichen „Demokratien“ können und wollen das Gleichheitsversprechen längst nicht mehr einlösen. In dem Moment, in dem Regierungen nicht mehr für die Regierten stehen, bleibt das staatliche Machtmonopol ohne Legitimation.
Solange sogenannte Volksherrschaften sich aushöhlen lassen und international und weltumspannend operierende Konzerne mehr Macht in sich konzentrieren als gewählte Regierungen, solange der Neoliberalismus über Ethik und Moral erhaben ist, darf sich niemand wundern, wenn die Gewalt schließlich ganz wörtlich vom Volke ausgeht.


---
*Welche Hetze hier über Monate planmäßig ausgebreitet wird, ist tatsächlich nur schwer erträglich. Die Verfehlungen deutscher Fiskal- und Finanzpolitik und die Vorwürfe, die diesbezüglich im Ausland erhoben werden, kommen uns im Gegenzug leider nur selten zu Ohren. Ebensogut könnte man behaupten, Deutschland schade der gemeinsamen Währung durch die konsequente Unterschreitung des Inflationszieles und die zugehörige Lohnzurückhaltung. Das würde aber an dieser Stelle wirklich zu weit führen…

Keine Kommentare: