Sonntag, 25. Dezember 2011

Museumsinsel


Was ich bei weihnachtlicher Übernachtung in meinem alten Kinderzimmer gefunden habe:


-Ein Fässchen Batman-Tinte
-Ein Foto von mir als kleiner Mensch
-3 Packungen Esbit inkl. Miniofen
-Einen Bierbembel mit dem Aufdruck „REVOLUTION“
-14 Pelikan-Mini-Tramp Bücher für die Lektüre unter dem Schultisch (darunter mein Lieblingsband „Sein erster Jaguar“)
-Ein frühes Selbstportrait
-Einen Fotoband über nationalsozialistische Vernichtungslager
-Konspirative Aufzeichnungen auf essbarem Papier
-6 französische Telefonkarten und ein Pfeifenbesteck in einem Etui
-Einen geöffneten Commodore 64 mit aufgelötetem Turbo-Modul
-Ein chinaseidenes Tagebuch meiner Schwester
-Eine künstliche Zigarette, die beim daran Ziehen weiß qualmt
-Ein Kinderbuch, das mit "Als Birne, wie wir wissen, ihre allumfassende Weltherrschaft ausgerufen hatte..." beginnt und mit dem Satz "Je größer das Gehirn, desto schneller arbeitslos." endet.

 
Was meine Hündin unterdessen dort gefunden hat:

-2 Tennisbälle
-1 Softball
-1 Jojo

Montag, 19. Dezember 2011

Mal was Besinnliches zur Festzeit...


Bertolt Brecht
Maria

Die Nacht ihrer ersten Geburt war
Kalt gewesen. In späteren Jahren aber
Vergaß sie gänzlich
Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen
Und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu.
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham
Nicht allein zu sein
Die dem Armen eigen ist.
Hauptsächlich deshalb
Ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem
Alles dabei war.
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte.
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte.
Der Wind, der sehr kalt war
Wurde zum Engelsgesang.
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur
Der Stern, der hineinsah.
Alles dies
Kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war
Gesang liebte
Arme zu sich lud
Und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
Und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit

Montag, 12. Dezember 2011

the number you have called is temporary not available

Wenn es so kalt ist, wie es gerade ist, und einem die Finger frieren, während man am Computer Präsentationen gestaltet zu Drama Lyrik Epik, der schwarze Nachtwind ums Haus defiliert, die Wörter aufhören zu vibrieren in einem drin, will man manchmal irgendwie ganz dringend nur da sein, wo man früher bisweilen im Winter war - im Warmen mit Büchern, die noch eine Handlung hatten, vollgestopft mit irgendwelchen Süßigkeiten und selbstgebackenem Lebkuchen, ohne betriebliche Weihnachtsfeiern, Reuegeld und Transaktionssteuern, ohne Winterreifen, Smartphones und Bodenminen - da wo die Hundepfoten die Nacht auslöschen, wo man nicht vor Kerzen an Gräbern steht, weil es für manche Sachen jetzt einfach zu spät ist.
Man will den Taugenichts als reale Lebensanweisung lesen, Vaters Mühle verlassen, im Gärtnerhäuschen einschlafen, das Mark des Lebens aufsaugen, Walden lesen, Walden leben, alles reduzieren, die äußeren Umstände der spätkapitalistischen Gesellschaften nur aus den verworfenen Fassungen Grimm'scher Märchen kennen, die inneren Zustände des schleichenden Unbehagens der Postmoderne überhaupt nicht kennen, noch niemals davon gehört haben, nicht mal in Legenden und auch nicht aus dem späten Gelaber der Talk-Shows, weil vor geraumer Zeit jemand aus gutem Grund eine Axt im Flatscreen versenkt hat. - - -
Und dann liegt man mit einer Taschenlampe unter der Bettdecke, liest "Detektiv Kim bekämpft die Mopedbande" und ist für diese Welt ganz einfach nicht mehr zu sprechen!

Montag, 5. Dezember 2011

Hundert Prozent Arabica

Zuweilen, wenn ich morgens meinen Kaffee schlürfe, noch vor den ersten sanften Fehlentscheidungen des Tages, denke ich an Gregor Samsa, Kafkas duldsamen Käfer:
Als einer der perfiden Prokuristen zu Besuch kommt und seinen Kaffee verschüttet, ist dies für Gregor Grund genug, plötzlich hervorzuschießen und seine insektoiden Esswerkzeuge relativ gierig nach der heruntertropfenden Flüssigkeit auszustrecken. Er kann sich "nicht versagen, im Anblick des fließenden Kaffees mehrmals mit den Kiefern ins Leere zu schnappen".
Und an dieser Stelle wird uns allen klar, dass man ihm in seiner Käferexistenz den Kaffee vorenthalten hat, eine kaum zu überbietende Grausamkeit. Auf seinen verzweifelten Versuch der Kaffeebeschaffung reagiert die Mutter mit Geschrei, der Prokurist mit Flucht, alle mit Entsetzen. - Gregor ist in der Familie endgültig unten durch.

Typische Entzugserscheinungen des habituellen Kaffeetrinkers sind nach verschiedenen Studien  z.B. Erschöpfung, Kopfschmerzen, mangelnde Wachsamkeit, Reizbarkeit, Schläfrigkeit, depressive Episoden, Konzentrationsstörungen, fehlende Gedankenklarheit und eine deutlich herabgesetzte Zufriedenheit.
Ganz ehrlich, wenn Gregor die Käferexistenz vielleicht noch hätte wegstecken können, ich bin mir sicher, der unterdrückte Kaffeekonsum brach ihm das Genick bzw. den mentalen Chitinpanzer.

Dazu kommt, fortgesetzte Beweisführung, dass Insekten noch deutlich empfindlicher auf Koffeinzufuhr bzw. -entzug reagieren, wie z.B. das Verhalten von Spinnen mit bzw. ohne Kaffeekonsum belegt (siehe Abbildung 1).
Wir müssen also vielleicht im Hinblick auf käferliche Entzugserscheinungen in unserer Einschätzung die beschriebenen Effekte potenzieren, was letztlich den unterdrückten Kaffeegenuss ins Zentrum der psychopathologisch fixierten Kafka-Lektüre rücken lässt.
Schließlich muss vor diesem Hintergrund besonders bitter erscheinen, dass man den Käfer, dem man den lebensnotwendigen Kaffee verweigert, mit schnödem Obst bewirft, ein böses ironisches Substitut für das eigentlich Verlangte!
(Abgesehen davon ist die Wahl eines Apfels als Wurfgeschoss nicht nur ein zweiter Sündenfall, sondern finstere Verballhornung des beliebten Merkspruchs "An apple a day keeps the doctor away." - dessen Wörtlichnahme wohl auch dazu führte, dass die verursachte Verletzung unbehandelt blieb.) Doch vom Obst zurück  zum Kaffee:

Interessanterweise scheint die Industrie später (für Gregor leider zu spät!) den folgenschweren Fehler der Samsas wieder gutmachen zu wollen. Wie anders ließe es sich erklären, dass es mittlerweile in Feinkostgeschäften speziellen Käfer-Kaffee (Abb. 2) gibt, der nicht nur aus feinster Arabica-Bohne hergestellt wird, sondern auch für den menschlichen Konsumenten besonders bekömmlich sein soll.

Johann Sebastian Bach, kirchenmusikalisch-systemtheoretisch-mathematisches Genie, Gott hab ihn selig, wandte sich zuweilen auch der weltlichen Musik zu, allerdings nicht ohne Weltliches zu sakralisieren. So ist seine sogenannte Kaffeekantate vielleicht nicht sein größter Geniestreich, aber dennoch ehrliches Credo eines ergebenen Koffeinisten. Da heißt es:

Ei! wie schmeckt der Coffee süße,
Lieblicher als tausend Küsse,
Milder als Muskatenwein.
Coffee, Coffee muss ich haben,
Und wenn jemand mich will laben,
Ach, so schenkt mir Coffee ein!

Johann Sebastian, Gregor - ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bund der Dritte! - Ach stimmt, Schiller (als dann Vierten) nicht zu vergessen. Dichtete dieser nicht saumselig: "Diesen Trunk der ganzen Welt?!"

Sonntag, 4. Dezember 2011

BWV 1007–1012

Ich kenne sie seit vier oder fünf Wochen, kenne sie, seit ich gefragt habe, ob ich ihr zuhören dürfe. Still saß ich dann bei ihr, ließ die Zeit verstreichen, während sie ihre Kadenzen strich, ihre Übungen machte, oder kleinere Passagen repetierte. Ausgeruht fanden ihre Finger den Weg über die Saiten, flog der Bogen seinen fremden Kurs, und ihre Augen waren kleine Vögel, in jenem neonbeleuchteten, kargen Raum mit den beigen Tapeten und dem grauen Linoleumfußboden. Zuweilen betrachtete ich ihr Spiegelbild im kalten Klavierlack, ihre energischen Bewegungen, so beneidenswert kontrolliert, ihre Gesten, so seltsam distanziert.
Und an ihr maß sich meine Stille, meine Reglosigkeit, mein Schweigen, an ihr maß sich, wenn sie spielte, die Welt. Ich sage dies nicht einen Moment unter dem Eindruck von Hingezogenheit, nein, ich will sie nicht näher kennenlernen, nicht besser, nicht anders sehen, als in diesem kargen Übungsraum mit ihrem Cello, diesen fliegenden Augen.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Robin Hack

Spannende Sache:
Die Hackerkonglomerate Anonymous und TeaMpOison vereinigen sich für eine geplante Aktion  im Sinne der Occupy-Bewegung zu pOisAnon. Operatives Ziel, so angekündigt, die Umverteilung des Reichtums auf elektronischem Wege. Nach eigenen Angaben hat pOisAnon mittlerweile durch "Einbrüche" bei drei (oder vier) Großbanken mehr als eine halbe Million Kreditkartendaten beschafft, die "Umüberweisung" steht offensichtlich kurz bevor:

"Operation Robin Hood will take credit cards and donate to the 99% as well as various charities around the globe. The banks will be forced to reimburse the people their money back. - We are going to take what belongs to us. The Banks have thrown people out on the streets with corrupted actions. When the poor steals, it’s considered violence, but when the banks steal from us, it’s called business."

Doch die Kritik von pOisAnon geht viel weiter als diese einzelne Aktion: es ist vom Einfluss der Bankenkartelle auf Staat und Politik die Rede, und damit vom Schwinden demokratischer Strukturen. - Ob dies insgesamt eine sinnvolle Aktion im Kampf gegen die "pigs" (so pOisAnon in beinahe schon klassischer Rhetorik) ist, sei dahingestellt.
Wie wär's zum Beispiel mit einem größeren Projekt: Schuldenerlass für die sogenannte Dritte Welt: D-E-L-E-T-E!