Sonntag, 31. März 2013

Kleines Literaturrätsel (VI) - Wer bin ich?

So mancher im Büro redet hinter meinem Rücken, getrieben vom Neid auf meine bessere Anstellung – denn wer wäre nicht gern verbeamtet? Man trägt die feinere Kleidung, drückt sich gewählter aus und lupft den Hut im Vorübergehen.
Auf der Straße schau ich auch mal den Damen hinterher, wie eben erst einem besonders entzückenden Kind, das eine - man mag es kaum glauben -  sprechende Hündin besitzt, die über einen erheblichen Wortschatz gebietet. 
Das habe ich später umso mehr gedacht, als ich einen Briefwechsel eben jener Hündin an mich brachte, worin ich fand, dass dieses Tier nicht nur etwas von Politik verstand, sondern auch so manches französische Wort benutzte – obwohl man doch an der Schrift erkannte, dass hier nicht die Hand, sondern eine Pfote die Feder geführt haben musste.
Einige Tage später, aber wieviele Tage sind es eigentlich und in welchem Jahr befinde ich mich?, fällt es mir immer schwerer, meiner gewöhnlichen Arbeit nachzugehen, da ich mich nicht mehr zu den Bürgerlichen zähle. Wie kann das den Menschen nur verborgen bleiben? Sie bleiben kaum stehen, wenn ich vorbeigehe. Sehen sie mich denn nicht? Begreifen sie denn nicht, wer ich bin?
Außerdem plagen mich alle Tage zwei Fragen: Warum diese Duschen mit Eiswasser? Und: Wie reise ich möglichst schnell ein paar tausend Kilometer Richtung Südwesten?

Samstag, 23. März 2013

Der rechte Augenblick

Von den Terrassen der Cafés klingen metallisch die Stimmen
Und eifrige Raben stehlen Gästen das Gebäck von den Untertassen
Traurige Passanten spucken auf die Gleise der Straßenbahn
Während die Oberleitungen von fernen Trafostationen singen
Ich stehe mit einem Buch unterm Arm am Tiergarten
und warte auf den Regen
Als ich dich sehe, mit dem gleichen Buch vor der Nase
Einem Zinkfüller am Revers und dunkelblauem Hut
Wie du dich abwendest und über einen Tautropfen sinnst
Der heute früh aus dem Kelch einer kühlen Blume in deine Hand fiel.

Dienstag, 19. März 2013

Betula incognito


Wildes Treiben auf dem Bahnsteig. Durchsagen und Blicke fliegen durch die kühle Luft. Der Russe mit der Waschbärmütze ist eben aus dem Zug gestiegen und bleibt vor mir stehen:
-Sind Sie nicht diese Birke? fragt er
-Birke? Ich?
-Ja, diese Birke, die früher vorm Fenster meines Kinderzimmers stand? Mein Lieblingsbaum und Schattenspender!
-Sehe ich denn aus wie ein Baum?
-Ähm, jetzt, wo Sie’s sagen, naja, hm, aber irgendwie...schon…
Sein Atem riecht leicht nach Schnaps und offensichtlich sind ihm seine Worte mittlerweile ein wenig unangenehm. Er errötet und räuspert sich, sagt „entschuldigen Sie“, dreht sich rasch auf dem Absatz um und geht davon.
Als ich am Tag darauf, auf der Wiese stehend, die Arme weit in den Himmel gereckt, sonnenfleckige Schattenmuster an die Hauswand male, frage ich mich ganz kurz: wie hat er mich nur erkennen können? Ich hatte doch einen Mantel an… und Schuhe, dazu ein T-Shirt und sogar eine alberne Basecap.
Ich runzele die Rinde. Es bleibt mir ein Rätsel.

Montag, 11. März 2013

Kleines Literaturrätsel (V) - Wer bin ich?


Es ist schon eine Art kurzer Amoklauf mitten in der Flora eines hübschen Waldgebietes, was ich, schwitzend in meinem schwarzen Anzug, hier veranstalte. Eine Krankheit der Moderne, eine Überspanntheit der stadtgewohnten Nerven, ein Anflug von Neurasthenie, die schließlich zu verwirrender Selbstbeobachtung führt. Und? Was sehe ich? Mich selbst, wie ich ein Geschöpf köpfe, dessen Blut den Boden besudelt und dessen abgeschlagenes Haupt ein befremdliches Eigenleben entwickelt.
Es war ein kalter Mord, soviel weiß ich selbst, und grübele über die Möglichkeit, eine solch offensichtliche Leiche zu eskamotieren. Gleichwohl verweigere ich die Buße, verfalle dann aber auf die irrsinnige Idee, dem Kadaver neuerlich Leben einzuhauchen. Doch zu spät: bleibt nur die Flucht – und am Rande des Weges stehen finstere Gestalten, von denen manche weinen und andere nach mir greifen.
Zurück daheim finden meine Gedanken keine Ruhe, die Tote umtreibt mich, verdreht mein Gehirn für lange Zeit, entfacht in mir einen verqueren Totenkult, bis ich schließlich, viel später, zurückkehre an den Ort meiner Tat, um weiter und noch mehr zu morden. Und ich lache – na bitte, es geht doch!

Sonntag, 3. März 2013

Mahnung


Trau nicht den Männern mit den schwarzen Hüten
Erst gestern sah ich einen
Der ein Säugetier verspeiste
In ein Kinderbuch pisste
Und einen Tautropfen zertrat
Trau nicht den Männern mit den schwarzen Hüten
Sie erschlagen Marienkäfer
Mit Hauptstadttelefonbüchern
Bleiwinkelrohren
Und Eisenbahnschienen
Trau nicht den Männern mit den schwarzen Hüten
Sie handeln
Mit Finanzobligationen
Echthaarperücken
Und Läusemilch
Wenn du einen von ihnen siehst
Zögere nicht
Schlag ihn mausetot
Mit einem Strauß Wasserlilien