Sonntag, 3. Februar 2013

Abwesenheit


Man findet eine alte Brille wieder, die mittlerweile ein nicht mehr ganz scharfes Bild produziert, reibt sich die Augen und schaut stundenlang Fotos von früher an.
Da gibt es Menschen, die nun nicht mehr leben, die man vermisst, schmerzlich vermisst. Deren Verschwinden zum Verdrängten gehört, damit die Tage leichter fallen.
Diese rohe Realität der Fotos haut einem das ganze Gewesen-Sein um die Ohren, das ist keine Simulation: es ist so gewesen. Und in der hellen Kammer tapsen wir umher, zwischen den Zeiten, zwischen alten Kaffeekannen und Porzellanfiltern, Gesichtern, Nächten und Himmeln.
Die Fotografie entblößt jedes Detail, öffnet die Adern der Vergangenheit, produziert eine totale Distanzlosigkeit.
Zwischen alledem, den Bildern der Freunde und Dinge und Orte, erblickt man sich selbst in der Spiegelung einer Scheibe: Schemenhaft halte ich die Kamera, deren Objektiv eine Wirklichkeit verfügbar macht und entzeitlicht. Was Barthes „unbedarfte Kontingenz“ nennt hat die Wucht einer Wahrheit, die in Umrissen wahrnehmbar wird.
Mit Hilfe der Fotografie betreten wir die Ebene des Todes, betreten die Welt des Gewesenen, des nicht Wiederkehrenden, des Unumkehrbaren.
Und doch flüstert die Fotografie auch leise von Auferstehung.
Es ist dieser Schwindel, der so sehr schmerzt.