Mittwoch, 29. Februar 2012

Kleines Literaturrätsel (I) - Wer bin ich?

Das ist die Welt, die öde Sonne, die dunkle Gasse, hier von meinem Stuhl aus; kann mich nicht bewegen, doch was hält mich? Sind das Stricke? Oder Schatten von Stricken? Oder Schals? Verflucht, es sind Schals! Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Schals! Und der Stuhl ist ein Schaukelstuhl aus feinstem Teakholz. Immerhin.
Es macht Spaß, hier nackt und gefesselt in meinem Stuhl zu sitzen, genauer: es macht meinem Körper Spaß. Und mein Geist? Hm, mein Geist ist eine große Hohlkugel, hermetisch abgeschlossen vom restlichen Universum. Allein, mit meinem Körper hat der Geist zuweilen Austausch, da gehen Wege hin und her. Aber ist das schon Bewusstsein? Na, zumindest reicht es für die Parodie vernünftigen Verhaltens, das nicht aus dem Rahmen potenzieller Seinsweisen eines Körpers in der Welt fällt. Und diese Welt? Die ist doch nur eine heterogene Stimulation. Für mich ist die Zeit gekommen, ja, es ist Zeit, in meinem Geist zu leben.

Weiß: E2-E4

Sonntag, 26. Februar 2012

37.292.862

Laut DIE ZEIT hat die geheimdienstliche Überwachung privaten E-Mail-Verkehrs in Deutschland deutlich zugenommen. Dabei wurden - zitierten Berichten des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestages zufolge - im Jahr 2010 insgesamt 37.292.862 Mails nach etwa 2000 Schlüsselwörtern durchsucht und bei Worthäufung kontrolliert. Das ist eine Verfünffachung der Kontrollen im Vergleich zum Vorjahr.
Angeblich waren 213 der Mails als Hinweis dienlich, wobei nicht ersichtlich ist, als Hinweis wofür, denn für diese Verletzung der Privatsphäre unzähliger Bürger wird natürlich nicht tatsächlich Rechenschaft abgelegt. Aber wir alle erinnern uns ja noch an die vielen verhinderten Anschläge in diesem Jahr! Und überhaupt: die totale Bedrohung durch die bösen, bösen Terroristen.

Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird dieser Blogeintrag kontrolliert, wenn ich z.B. erwähne, dass ich nicht plane eine Bombe zu bauen oder mir einen falschen Pass zu beschaffen, weil ein Anschlag natürlich kein probates Mittel zu Bewusstseinsveränderung der Massen ist, wobei ich vielleicht doch größere Mengen Kunstdünger bestellen würde, weil ich überraschend zum Landwirt geworden bin, oder eine große Anzahl Autobatterien, weil sich mein Fuhrpark unvorhergesehen erweitert hat. Eine konspirative Wohnung bräuchte ich allerdings kaum, als potenzieller Einzeltäter. Vielleicht aber eine Rakete oder irgendwas mit Atom.

In verschiedenen Nerd-Foren werden bereits Vorschläge diskutiert, um in Zurückgewinnung der Privatsphäre das System endgültig ins Leere laufen zu lassen: es geht um Auto-Mailer, die wild Stichwortlisten zum Thema Terrorismus versenden, - man kann für sowas ja auch mal ein Bot-Netz einspannen. Kurzum: "Spammt die Überwacher zu!"

Dabei ist eine solche großflächige und prophylaktische Überwachung natürlich sowieso verboten. Das Bundesverfassungsgericht formuliert:

"Die heimliche Infiltration eines informationstechnischen Systems, mittels derer die Nutzung des Systems überwacht und seine Speichermedien ausgelesen werden können, ist verfassungsrechtlich nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen." (Urteil vom 27.2.2008, 1 BvR 370/07)

Allein: Wie soll man sich wehren, wenn man nicht weiß, dass die eigene Mail "fremdgelesen" wurde? Ein Möglichkeit wäre Transparenz. Man stelle sich vor, einige Mails, die man erhielte, wären mit dem Kommentar versehen: "In Verletzung Ihrer Grundrechte wurde diese Mail von Organen des Bundesamts für Verfassungsschutz analysiert."



Für alle, die glauben, Überwachung produziere Sicherheit, nochmal die wunderbare Erklärung aus Cory Doctorows noch wunderbarerem Buch "Little Brother" (Download hier):

>>Wenn du jemals auf die Schnapsidee kommen solltest, einen automatischen Terrordetektor zu bauen, dann solltest du erst mal eine bestimmte Mathematik-Lektion lernen. Sie heißt „Paradoxon vom Falsch-Positiven“, und sie ist ein Prachtstück.
Nimm an, es gibt diese neue Krankheit, sagen wir, Super-AIDS. Nur einer von einer Million Menschen bekommt Super-AIDS. Du entwickelst einen Test, der eine Genauigkeit von 99 Prozent hat. Damit meine ich, er liefert in 99 Prozent der Fälle das korrekte Ergebnis: „ja“, wenn der Proband infiziert ist, und „nein“, wenn er gesund ist. Dann testest du damit eine Million Leute.
Einer von einer Million Leuten hat Super-AIDS. Und einer von hundert Leuten, die du testest, wird ein „falsch-positives“ Ergebnis generieren – der Test wird ergeben, dass der Proband Super-AIDS hat, obwohl er es in Wahrheit nicht hat. Das nämlich bedeutet „99 Prozent genau“: ein Prozent falsch.
Was ist ein Prozent von einer Million?
1.000.000/100 = 10.000
Einer von einer Million Menschen hat Super-AIDS. Wenn du wahllos eine Million Leute testest, wirst du wahrscheinlich einen echten Fall von Super-AIDS ausfindig machen. Aber dein Test wird nicht genau eine Person als Träger von Super-AIDS identifizieren. Sondern zehntausend Leute.
Dein zu 99 Prozent genauer Test arbeitet also mit einer Ungenauigkeit von 99,99 Prozent.
Das ist das Paradoxon vom Falsch-Positiven. Wenn du etwas wirklich Seltenes finden willst, dann muss die Genauigkeit deines Tests zu der Seltenheit dessen passen, was du suchst. Wenn du auf einen einzelnen Pixel auf deinem Bildschirm zeigen willst, dann ist ein spitzer Bleistift ein guter Zeiger: Die Spitze ist viel kleiner (viel genauer) als die Pixel. Aber die Bleistiftspitze taugt nichts, wenn du auf ein einzelnes Atom in deinem Bildschirm zeigen willst. Dafür brauchst du einen Zeiger – einen Test –, der an der Spitze nur ein Atom groß oder kleiner ist.
Das ist das Paradoxon vom Falsch-Positiven, und mit Terrorismus hängt es wie folgt zusammen: Terroristen sind wirklich selten. In einer 20-Millionen-Stadt wie New York gibt es vielleicht einen oder zwei Terroristen. Vielleicht zehn, allerhöchstens. 10/20.000.000 = 0.00005 Prozent. Ein zwanzigtausendstel Prozent.
Das ist wirklich verdammt selten. Und jetzt denk dir eine Software, die alle Bankdaten, Mautdaten, Nahverkehrs-Daten oder Telefondaten der Stadt durchgrasen kann und mit 99-prozentiger Genauigkeit Terroristen erwischt. In einer Masse von 20 Millionen Leuten wird ein 99 Prozent genauer Test zweihunderttausend Menschen als Terroristen identifizieren. Aber nur zehn davon sind wirklich Terroristen. Um zehn Schurken zu schnappen, muss man also zweihunderttausend Unschuldige rauspicken und unter die Lupe nehmen.
Jetzt kommts: Terrorismus-Tests sind nicht mal annähernd 99 Prozent genau. Eher so was wie 60 Prozent. Manchmal sogar nur 40 Prozent genau. Und all das bedeutete, dass die Heimatschutzbehörde zum Scheitern verdammt war. Sie versuchte, unglaublich seltene Ereignisse – eine Person ist ein Terrorist – mit unpräzisen Systemen zu erkennen.
Kein Wunder, dass wir es schafften, so ein Chaos zu verbreiten.<<

Samstag, 25. Februar 2012

Le stade du miroir

Ich setze mich, sehe aus dem Fenster in den Hof, verfolge mit den Augen die Flugbahnen einzelner Schneeflocken und trinke. Plötzlich scheppert im Flur das Telefon. Vor Schreck verschütte ich meinen Kaffee. Die Stille ist gebrochen und der Nachhall des Bimmelns scheint in verwischten Intervallen aus allen Räumen widerzuklingen. Ich gehe nicht ans Telefon, ich warte bis der Anrufbeantworter sich einschaltet.
Am anderen Ende ist man nicht gewillt zu reden: Aus dem kleinen Lautsprecher dringt nur das leise Rauschen der wortlosen Verbindung. Sie wird mit vernehmlichen Knacken unterbrochen. Während der Anrufbeantworter die unbenutzte Cassette zurückspult, atme ich auf. Gerade als ich die Tasse wieder an den Mund setzen will, läutet das Telefon erneut. Die Maschine zeichnet ein langes Schweigen auf. Eine Weile überlege ich, ob der Hörer beim dritten Anruf von mir abzunehmen sei, doch nichts geschieht. Alles wird wieder zu Stille.
Die Flocken fallen, ich trinke Kaffee, es ist der Anfang von etwas.

Am Nachmittag mache ich mich allein auf den Weg. Immer wieder ziehen Wolken auf. In den Zwischenräumen erscheint die Sonne und wärmt.
Ich betrete eine Telefonzelle und wähle meine eigene Nummer. Nach ein paar Sekunden geht der Anrufbeantworter dran. Meine Stimme aus der Ferne zu hören ist befremdlich, so als sei ich nicht in meinem Körper. Ich spreche nichts auf das Band, schweige und hänge ein. Ich wiederhole das seltsame Spiel noch einmal. Meine Stimme, mein Schweigen. Bis die Automatik die Leitung unterbricht.

Schließlich setzte ich mich in ein Café. Dort bleibe ich vier Stunden. Nichts geschieht. Ich bin enttäuscht, denn ich habe gewartet. Auf mich.

Donnerstag, 23. Februar 2012

Einfache Tage

In einem Haus am kalten Meer. Dort wohnte ich vor Jahren, als man mir noch die Scheiben einwarf und Hiro abends, bedächtig auf der Schwelle liegend, mich vom Schließen der Türe abzuhalten versuchte. Gebrochen klangen die Wellen herüber, als hielten sie in der größten Aufbäumung plötzlich inne, und dieses Spiel wiederholte sich im Handumdrehen.
Morgenluft strich herein und in der Küche dampfte immerzu der Kessel aus mattem Blech, der das kochende Wasser bereithielt.
Niemand wagte zu sagen, daß es kein glückliches Leben war, das wir führten, doch wir hatten uns aneinander gewöhnt, an das Meer, die Geräusche vom morschen Dach und die Eichhörnchen, die in der Rumpelkammer ihre Jungen zur Welt brachten.
Hiro wachte mit scharfem Verstand und schlafend über die Türe zur Veranda, streckte die Pfoten von sich oder legte sich zur Seite, um im Traum einen kurzen Sprint einzulegen, wobei er zappelnd leise Grunzlaute ausstieß.

Montag, 20. Februar 2012

Bereit, wenn Sie es sind, Sergeant Pembry

Wer glaubt wem? Was sind eigentlich Nachrichten? Und was ist Wahrheit? Agenturen melden, Medien reichern an, wiederholen, plausibilisieren, drehen sich im Kreis. 
Michel Houellebecq lässt in seiner Heile-Welt-Mär Ausweitung der Kampfzone den Erzähler erschöpft bemerken: "Dieser Welt mangelt es an allem, außer an zusätzlichen Informationen." Das ist völlig richtig, weil "Information" zunächst gar kein qualitativer Begriff ist: Information ist - ganz neutral - nur eine Menge von Signalen, aus denen ein Empfänger Bedeutung entnehmen kann. Das hat mit Wahrheit nichts zu schaffen.
Die Informationen, die wir täglich bekommen, die sich als endloser Strom aus heißen und kalten Medien auf uns ergießen, sind für uns in keiner Weise überprüfbar, erscheinen oftmals nicht einmal plausibel. Dass jede Information zugleich Manipulation ist, ist seit jeher eine banale Erkenntnis, die man sich üblicherweise trotzdem nicht ständig bewusst macht. Wie sollte man auch in einer Welt überleben, deren Komplexität inkommensurabel geworden ist, ohne die tägliche Vereinfachung zu betreiben, oder sich ganz einfach im Datengeblubber treiben zu lassen.

Interessant ist ein Experiment zweier in Berlin ansässiger Medienkünstler, die mit Newstweek ein elektronisches Hilfsmittel vorstellen, um Nachrichten zu manipulieren: und jeder kann mitmachen im Desinformationskarussel, Media distortion für alle, die sich für schlappe 30 € einen kleinen Aparillo zusammenlöten, der sich dann an Internethotspots auf den Datenverkehr aufsetzt und mittels Software Schlüsselbegriffe im Textrauschen der Nachrichtenangebote austauscht. Das Beste: die Dinger sind sogar übers Netz fernsteuerbar. Man könnte also mit einer kleinen Datenkapsel ein ganzes Netzwerk (Flughafen, Universität etc.) unauffällig kapern und die Informationsmodulation bequem von zu Hause aus steuern. 
Man stelle sich News vor, in denen "Islamisten" durch "Christen", "Terror" durch "Liebe", "Bomben" durch "Küsse" und "Obama" durch "Assad" ersetzt wurde. Entsetzt starren die Leser durch ihr Browserschlüsselloch in eine Welt, die nun endgültig gar keinen Sinn mehr zu machen scheint. Oder doch? Der Slogan von Newstweek ist immerhin "Fixing the Facts!"

Links:

Samstag, 18. Februar 2012

Adbusting, Subvertising, Culture Jamming

Werbebotschaften überall! Im Netz gibt’s Adblocker, in der realen Welt nicht. Zudem: was erzählt man uns da eigentlich? Halten die uns für Idioten? Wer glaubt McDonalds, der AOK, irgendwelchen Versicherungen? Kaufen, wegschmeißen, Kaufen, Scheißen, Kaufen, Sterben. Inwiefern konstruieren Konzerne den öffentlichen Raum, in dem wir uns täglich bewegen?

Umberto Eco spricht von ‚semiotischer Guerilla‘, wenn wir die Zeichen umdrehen, die Pseudoinformation in Information verwandeln, unsere Störfeuer diesmal die Wahrheit funken. Wenn wir über den Zustand der Welt reden, sollten wir niemals vergessen: Nichts ist gesetzt, alles kann geändert, verändert, subvertiert werden. Den Raum der Schrift können wir jederzeit wieder besetzen, die Sprache gehört uns allen!

Jean Baudrillard schreibt: „Der Unterschied zwischen Sendern und Empfängern, zwischen Produzenten und Konsumenten von Zeichen muss total bleiben, denn in ihm liegt heute die wirkliche Form der gesellschaftlichen Herrschaft.“ – Was tun? Hilft wohl nur, zum Sender zu werden, Empfänger gibt’s ja wahrlich schon genug.

Kleine Wochenaufgabe: irgendeine öffentliche (Plakat-)Werbung in ihrer Aussage verändern, subvertieren – die Welt ist ein Text ohne Ende, wir alle können an ihm weiterschreiben, ihn ins Gegenteil schreiben, überschreiben.

Denn, wie sagte schon der gute alte Roland Barthes: „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“

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Update 23.02.: Das Plakat scheint ein Work in progress zu sein :-)






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Update 29.02.: Adbust-Mund tut Wahrheit kund :-)


Mittwoch, 15. Februar 2012

Der Tränen Lohn

Wie schön: die Deutsche Bank verdoppelt 2011 ihren Gewinn (nach Steuern: 4,3 Mrd. €) im Vergleich zum Vorjahr nahezu – und ist doch enttäuscht, weil man hinter den eigenen Prognosen zurück bleibt.
Ehrlich, ich bin ganz kurz davor, eine Mitleidsbekundung zu verfassen.

Vielleicht wäre noch mehr „Leistung aus Leidenschaft“ oder „Leistung, die Leiden schafft“ notwendig gewesen. Nicht umsonst warb das Bankhaus bereits 2008 wenig subtil mit dem Geschäft ohne Gewissen und legte dem geneigten Anleger die uneingeschränkte Freude an Hungertoten in der sogenannten Dritten Welt nahe:

"Freuen Sie sich über steigende Preise? Alle Welt spricht über Rohstoffe - mit dem Agriculture Euro Fond haben Sie die Möglichkeit, an der Wertentwicklung von sieben der wichtigsten Agrarrohstoffe zu partizipieren. Investition in etwas Greifbares." [Werbetext der DB]

Man darf gar nicht darüber nachdenken, dass man es sogar geschafft hat, diesen Text geschmackvoll auf Brottüten zu drucken, die in Frankfurter Bäckereien als Werbeträger erhältlich waren. Daneben Abbildungen von Weizen, Mais, Salz usw.

In der zugehörigen Broschüre wurde man dann deutlicher, sprach von „historisch niedrige[n] Lagerbestände[n] an Agrarrohstoffen", die im Zusammenhang mit „signifikant steigender Weltbevölkerung“ deutliche Renditen versprächen.

In Folge der Kritik von Foodwatch und Attac versprach Ackermann, das Rohstoffgeschäft nochmals zu überdenken und bis zum 31. Januar 2012 eine Endscheidung zu treffen. - Dieser Termin ist nun schon einige Tage verstrichen. Was bleibt, ist ein Aufschub.

Der Spiegel zitiert Sabine Miltner, Sprecherin der Deutschen Bank. Diese wolle nun „einen breiteren Ansatz als zunächst geplant [...] verfolgen und in den kommenden Monaten eine umfassende Studie zum Thema Handel mit Agrarrohstoffen und Hunger […] erarbeiten.“ Ackermann fügte später hinzu, man stehe "erst am Anfang" der zugesagten Überprüfung des Handels mit Agrarrohstoffen.

Klar, angesichts des mäßigen Geschäftsergebnisses von nur 4,3 Mrd. € kann man ja schlecht hastig aus so einem lukrativen Geschäft aussteigen. Und während die Deutsche Bank „denkt“, steigt die Zahl der Hungertoten – davon kalkuliert man pro Tag 25.000. Das sind seit dem 31. Januar fast 400.000 Menschen.
Ich könnte mich nicht zynischer fühlen, als beim Überschlagen einer solchen Zahl.



Zur weiteren Information:
Foodwatch-Report 2011
Factsheet DB von Misereor/Oxfam

Sonntag, 12. Februar 2012

Freds altruistischer Entschluss

Ich geh jetzt ein Organ spenden, sagt Fred und wir anderen kucken ihn etwas verunsichert an.
Wie? Organ spenden? Jetzt sofort? Aus dem lebenden Körper und so?, sagt dann endlich Marie und sieht dabei in ihrer Verwirrung ganz zauberhaft aus.
Ja klar, jetzt sofort und aus dem aktuellen Körper, sagt Fred. 
Und an was hast du dabei so gedacht, frage ich.
Naja, zum Beispiel meine Kiemen, die brauch ich ja kaum noch, ich geh eh so selten schwimmen und wenn doch, Mann, Lungenatmung funktioniert absolut.
Aha, nicken wir bedächtig, ja okay, Kiemen ist auf jeden Fall drin. Aber pass auf, dass sie dir sonst nichts rausschneiden.

Donnerstag, 9. Februar 2012

Pop

Einer sitzt hinten im Wagen, weil ja immer einer ganz hinten sitzen muss und dafür darf der dann sagen, was vorne gespielt wird und er sagt Kollektiv Turmstraße und das hören wir dann und alle brummen selbstvergessen ein tiefes OHHHHHMM, wie ein einziger großer Resonanzkörper.
Das ist ja eben Pop, sagt er, wenn alle dazugehören können, aber da meine ich, Pop sei schließlich auch, nicht dazuzugehören und überhaupt hätten wir heute zu selten Boycott everything von Bonaparte gehört und die anderen sagen, dass wir das schon mindestens soundsoviel Mal gehört hätten, aber dass es ja kaum schaden würde, sich das nochmal anzuschauen, was da so geht und was es dann bedeutet.
Irgendwie ist die Straße glatt, wir gleiten dahin und wir hören den Song und einer zieht die Handbremse und wir drehen uns ein oder zwei Minuten und der auf dem Beifahrersitz hat einen Einkaufskorb auf dem Kopf und zuckt zu den Beats und in dem Moment als alle mitzucken, stehen wir plötzlich und die Musik ist aus.
Vier Augenblicke später schwebt in völliger Stille der Schnee auf uns hernieder, setzt sich auf die Windschutzscheibe, während der Wind innehält und die Erde tief einatmet. Und wir steigen aus und staunen und öffnen die Münder und schmecken auf der Zunge die streng hexagonale Struktur der Flocken.

Dienstag, 7. Februar 2012

Das Rauschen der Wörter in Räumen, die sich dagegen aufbäumen,
deren Wille zur Stille, zur Null, zur Linie auf dem Bildschirm,
sie ausbleicht, sie weiß streicht, die Leere aufreißt.

Es entsteht ein Loch, ein Gegenraum ohne Ausdehnung,
unvermessen, drinnen gibt's keine Adressen, keinen Wohnraum,
keine Miete, keine Fenster, kein Raus - nur rein.

Darin verschwinden alle Wünsche, entgleiten präzise Formulierungen und Buchstabierungen, rattern die Sätze wie U-Bahnen ins Schwarze, ins Dunkel der Tunnel reisend auf Gleisen.

Die Tür fällt zu fällt die Tür, Das Licht geht aus geht das Licht
Es ist dunkel, es ist still, weil Sprache hier nicht Sprechen will.

Montag, 6. Februar 2012

Ligamentum meniscofemorale

"In 700 Metern rechts abbiegen auf den Theodor-Stern-Kai", sagt das Navigationsgerät etwas humorlos und ich fahre auf die übervolle vierspurige Mainbrücke, als diese erst leicht, dann heftiger vibriert und schließlich ins Wanken gerät. Peitschend reißen einige Drahtseile und köpfen Fußgänger, die die Spiegelungen der Hochhäuser im Wasser betrachten wollten, nun aber ganz anderes zu sehen bekommen.
Während die Betondecke aufreißt wie altes Papier, denke ich aus mir unerfindlichen Gründen an Goethes Knie.

Goethe streckt das Knie und beugt das Knie.
Er beugt das Knie, streckt das Knie.
Im Alter fühlt er darin ein Gewitter nahen.
Trotzdem, sagt Goethe, ist mein Knie nicht gerade ein Sinnesorgan.
Und Eckermann flüstert: Fußballerknie.
Das hört Goethe zum Glück nicht.

Er denkt bereits über seine Nase nach.

Mittwoch, 1. Februar 2012

1657, Große Didaktik

Kein Widerspruch zwischen Wissen und Glauben, alle sollen lernen, alle sollen alles lernen. Man muss sich nicht schämen, wenn man Comenius nicht gegen Sokrates ausspielen kann, schon gar nicht in einer Tabelle - , aber: die Didaktik dient der Ordnung, der Ökonomisierung der Erkenntnis, der Beschleunigung des Lehrens und Lernens, der Erziehung zur Unmündigkeit, nicht der Bildung von Banden, Banden im Sinne von schwach strukturierten Gruppen mit diffusen Zielen, aber das hab ich noch nicht so gut verstanden.
Die Akzeptanz von Zucht und Ordnung, die Disziplin, die Reformpädagogik, das Kind als Widerstand, das Kind unter Waffen - ein Künstler.