Dienstag, 12. August 2008

Knister Bliep Schrammel

Freie Musik im Netz ist ja so eine Sache: oft nicht so der Reißer bzw. nicht so originell, wie die Unabhängigkeit von irgendwelchen Pseudo-Megastar-Plattenmachern vermuten ließe.
Aber es gibt echte Perlen - z.B. Pornophonique mit ihrer wunderbar knarzenden und fiependen Platte 8-Bit Lagerfeuer. Da findet zusammen, was eigentlich von Schöpfung an für einander gedacht war: die Klampfe und der Gameboy; dazu Texte die sich gekonnt im Metapherarsenal der Videospiele bedienen:

Show me some bonus points
some golden coins
I need an extralife
I need an extralife

Glückwunsch Jungs: Geile Platte - und das ganze auch noch gratis im Netz: http://pornophonique.de/music.php

Wasserleiche zum Träumen

Rilke und viele andere hatten einen Abguss ihrer Totenmaske im Boudoir: Die schöne Tote aus der Seine.

Ein modernen Mythos der Jahrhundertwende, Wasser auf die Mühlen der empfindsamen Décadence...

Angeblich handelte es sich bei der unbekannten Leiche, die 1900 in Paris aus der Seine geborgen wurde, um eine junge Selbstmörderin. Ein Angestellter der örtlichen Morgue fand ihre Schönheit so berückend, dass er einen Gipsabdruck ihres Gesichts nahm und davon eine Totenmaske fertigen ließ, die bald ziemlich en vogue war.

Ein wenig morbid, - aber schon kurz darauf als Reproduktion in jedem besseren Künstlerhaushalt des alten Europa zu finden.

Von Reinhold Conrad Muschler gibt es eine reichlich spekulative Novelle (>Die Unbekannte<), die die Vorgeschichte der Schönheit in die Fiktion überführt: damals in Deutschland ein Bestseller! Obskur: in Frankreich verpasste eine Firma der meistverkauften Erste-Hilfe-Übungspuppe das Antlitz der geheimnisvollen Schönen. Wenn das nicht zum Wiederbeleben motiviert, weiß ich's auch nicht mehr ;-)

Die Übersetzung

Manchmal stößt man ja auf krummen Wegen auf Geschichten, die einen bewegen: Ich war dabei, Baudelaire-Übersetzungen ("Fleurs du mal") zu vergleichen und wurde mit keiner so richtig glücklich, außer der Fassung, die von einer gewissen Therese Robinson übersetzt wurde - ja, die gefiel mir wirklich gut. Also flugs im Internet nach der Übersetzerin gesucht:

Robinson Therese Albertine Louise R., geb. v. Jacob, 1797-1870 (Schriftstellerin, als solche Talvj genannt).

Naja, 1857 sind die "Fleurs du mal" erschienen, da wird sie sie mit über 60 Jahren übersetzt haben... Aber nein: ich finde noch eine zweite Therese Robinson:

In Wirklichkeit hieß sie Karin Delmar, 1873 geboren, 1925 hat sie die "Fleurs" übersetzt, zwei Jahre später die Shakespeare-Sonette.

1933 von den Nazis deportiert - und auf dieser Deportationsliste taucht ihr Namen zum letzten Mal auf; man geht davon aus, dass sie noch im selben Jahr ermordet wurde...

Einer Vorübergehenden
Die Straße heult und rasselt fieberhaft.
Da schreitet zwischen Lärm und Gassenhauer
Ein schlankes Weib in majestätischer Trauer,
Mit stolzer Hand des Kleides Saum gerafft;
Geschmeidig, zart, das Bein schlank wie gemeißelt.
Aus ihrem Blick, drin Himmel fahl und starr
Und Stürme ruhn, saug' ich, ein kranker Narr,
Leid, das berauscht, Lust, die zu Tode geisselt.
Ein Blitz ... dann Nacht! – O schöne, flüchtige Frau,
Aus deinem Blick strömt Kraft und Leben nieder.
Ob ich dich erst dort drüben wiederschau?
Verändert, fern! zu spät! ach niemals wieder!
Fremd mir dein Pfad, mein Weg dir unbekannt, –
Dich hätte ich geliebt, dich, die's erkannt!


(Übersetzung von Baudelaires A une passante von Karin Delmar)