Donnerstag, 29. März 2012

Happy Days

Krieg der Freiheit! Individualität ist Gleichheit. Konformität ist Rebellion. Wille ist Begehren ohne Bewusstsein der Produktionsprozesse und: heiter ist die Kunst, ästhetisch die Politik, die beste Fiktion von allen.
Schnell ein Doodle geschaltet: Man hat die Wahl, aber würden Wahlen was ändern, wären sie illegal. Doch wir bleiben im Recht, auf dem Boden des Rechts, der Rechtstaatlichkeit. Es bleibt die Wahl zwischen Schuh und Frisur, mehr wäre gegen die menschliche Natur.
So behaglich in den Städten voller Angebote, geschützt durch wohlige Verbote. Uns passiert nichts Schlimmes, Überwachung behütet uns, Bedürfnisse bestimmen unsere Bewegung im öffentlichen Raum, die schönen Dinge sind auf unterschiedliche Orte verteilt, und als köstliches Substitut für Macht ordern wir und die Objekte kommen in gelben Lastern aus der Ferne, schnell, bequem. Wie gut es sich leben lässt!
Da ist dumm, wer sich von flacher Subversionsrhetorik in seinem gesunden Konsumentenbewusstsein irritieren lässt. Der angebliche Widerstand will doch auch nur Bücher verkaufen, oder Buttons, CDs, Medien, Clips, Tops und sich in die Genussfähigkeit der popkulturellen Öffnung rammende Gedankendildos. 
Ökonomiekritik ist dumm, lasst uns doch das bisschen Spaß, die besseren Partys, die schnellere Smartphones, die bunteren Apps haben. Ihr infantilen Affen mit euren Waffen. Mit eurem Anti-Pop, der zwei youtube-Clips später echter Pop ist, mit Zuckerguss und Sahne obendrauf. - Geht doch mal richtig shoppen oder ficken, dann geht‘s bestimmt wieder.
Glück ist für uns alle da.

Dienstag, 27. März 2012

Rand der Welt

Sie sagt, dass es ist wie es ist, dass man stirbt, wie man geboren wurde und dazwischen – nichts, nur laufen und ausgleiten und aufstehen und laufen.
Sie sitzt auf einem alten Stuhl, das Gesicht im Halbschatten der weggedrehten Schreibtischlampe, streicht sich die Haare hinters Ohr, schaut in die Nacht, schließt dann die Augen.
Der Wind schüttelt die Bäume, die schwarzen Äste vibrieren, Regen fällt auf die dunkel glänzende Straße.
Und sie spricht weiter: „Heute ist ein Tag, an dem ich vom Tod weiß. Nichts ist leicht. Das Leben fühlt sich an wie ein Beatmungsgerät. Ich wünschte, man würde mich ausstreichen, wie ein falsches Wort auf dem Papier.“
Sie schaut an mir vorbei, in die Leere des Raumes, dann zum Fenster. Draußen wütet ein Sturm, der sich in ihrem Blick spiegelt.

Sonntag, 25. März 2012

Antonio Tabucchi, † 25. März 2012

Ich war mit dir im nächtlichen Indien unterwegs, hab in Porto mit dir getrunken, war dem geköpften Damasceno auf der Spur, beweinte Christus im grünlichen Licht, saß in überfüllten Zugabteilen an deiner Seite und atmete Staub in der schwirrend-heißen Luft verfallener portugiesischer Friedhöfe. Du hast für mich geträumt und halluziniert, hast mir Spinoza und Pessoa vorgelesen, wir haben in Goa und Madras in der Gegenwart unserer Doppelgänger im Abendlicht gesessen.
Heute Nacht stelle ich für dich eine Kerze ins Fenster. Und weine.
Du weißt ja: der Rand des Horizonts ist jener Ort, der in dem Maße flieht, wie wir uns auf ihn zu bewegen.
Ich wünsche dir eine gute Reise!

Mittwoch, 21. März 2012

Es ist mal wieder soweit: die Hündin hat das Wort.

Auf dem Rücken liegend doziert sie, die Beinchen in die Luft gestreckt und hin und wieder strampelnd. Sie erzählt, wie sie Baselitz sieht. Sie erwähnt Schönebeck, das Manifest, die Antikunst. – Sie taucht die rechte Vorderpfote in ein Fässchen mit schwarzer Tinte und streicht über die Leinwand. Sie plant ein Triptychon zu irgend einem Bürgerkrieg. Dazu braucht sie noch Filz und Fett und Zuckerwatte. Sie hat da so ein Beuys-Ding am Start, glaube ich. Ich frage sie ganz direkt nach Beuys und sie sagt, einen Fettstuhl habe sie durchaus auch schon einmal gehabt – das sei nichts, worauf man stolz sein könne, nunja.
Sie spricht von Seele und Ozeanfarben, von einer Kunst, die das Motiv lange hinter sich gelassen habe. Ihr Maßstab für Ästhetik, so sagt sie, sei die größtmögliche Distanz zur Natur. Authentizität halte sie durchaus für etwas Widerliches.
Sie seufzt, leckt sich die Pfote, blinzelt in die Sonne und bedenkt mich mit einem nachsichtigen Blick:
Kunst, sagt sie, ist vor allem eine Geste der Gewalt. Sie verstehe Fontana durchaus, sagt sie, aber ein paar Schnitte seien nicht genug, um in die Tiefe des Bildes einzudringen. Wenn ein Schuss die Leinwand zerreißt, sei dies erst ein Anfang, wenn der Richtige hinter der Leinwand gestanden habe, z.B. Meese, dieser vorpubertäre Stümper!
Sie lässt die Vampirzähnchen bei gezogenen Lefzen aufblitzen; so sieht das aus, wenn ich lächele, sagt sie.
Hm, sage ich, ich fand Meese immer ziemlich lustig.
Sie schreibt mit der Pfote auf die Leinwand: „Kunst ist das totalste Totale, die Hirninwendigkeit, die radikalöse, der Tarzan am Hypothalamus, das Erzgebirge der Innerlichkeit, Nordwand des Hasses, der heiligste Faschismus, der sachlichste Wahn der Barmherzigkeit!
Jetzt klingst du aber ziemlich nach Meese, entgegne ich.
Ich, sagt sie mit listig geschwellter Brust, bin die totalste Parodie meesescher Hirnverharzung – wenn ich will!


Samstag, 17. März 2012

Pandämonisches Manifest

Samstags steige ich auf die Ulme, die nur meinetwegen so gewachsen ist, und bestaune die fehlgeleitete Architektur in der Ferne. Bilderpeitsche des Kapitals. Maßlos, die Korrekturbemühungen, die Kunst, aus Graphit und Verfall. - Eisberghaus, Wasserfallhaus, Reihenhaus. Das Material für den Übergang verstopft die Lager.

Dann: Alkohol auf der Seenplatte, Zeitenwende, Entnazifizierung einer Kuhweide und über die alten Idole mit dem Hubschrauber hinwegfliegen. Heute ins Museum, d'accord?

Und Du fragst mich: Woran erkennt man, dass es Kunst ist?

Und ich antworte: Wenn man ein Baby davor setzt, weint es.

Und dann lachen wir wild, schießen auf Plastiken, zünden Bilder an, sprengen das Magazin, fälschen die Signaturen, signieren die Fälschungen, verwüsten die Räume und räumen die Wüste.

Salven und Detonationen hallen von den gläsern spiegelnden Fronten des Bankenviertels wider, Feueratem drückt heiße Luft durch die Straßenschluchten,  goldener Flammenschein streichelt den Fluss. 

Du zwinkerst mir zu und flüsterst verschwörerisch: Wieder ein Tag am Rande der Gesellschaft – aber, hey, zum Glück sind wir bewaffnet!

Freitag, 16. März 2012

Gestern

Indische Flugenten stehen auf dem Campus Spalier
Während ich meinen Kaffee trinke
Die neuen Schuhe klackern auf dem Steinweg
Und ein kleines Mädchen im Feenkleid lacht
Wenig überraschend: Der Entgeltnachweis
Auch gültig als Verdienstbescheinigung
Auf dem Rückweg im Auto mit offenem Fenster
Missmutige Menschen in großen Wagen
Brennende Büros im verblassenden Licht
Dann: Mainspaziergang, Antilopen in der Abendsonne

Dienstag, 13. März 2012

Epitaph für ein armes Schwein

Danke, Marktkauf! Hätte ich nicht ohnehin vor einiger Zeit den Schweinchen den Laufpass gegeben, ihr hättet mich bestimmt überzeugt. Allerdings kann man so ein halbes Schwein ja auch für alle möglichen anderen Sachen nutzen: Schießübungen, Karnevalsmaskierung, als kleinen Erschrecker, zum Schmusen, als "bessere Hälfte" für nekrophile Sodomisten usw.

Aber mal ernsthaft: wie pervers ist eine Welt, in der man für 1,50 € ein Kilo Lebewesen bekommt? Mit Kopf!

Montag, 12. März 2012

Kleines Literaturrätsel (III) - Wer bin ich?

Die Welt ist voller Dinge, die sich zueinander verhalten – und ich war das Ding, was sich anders verhielt.
Ich wurde untersucht - versteht mich nicht falsch, ich war freiwillig gekommen, doch nur um zu erfahren, dass der Defekt vorlag, ich bin „negativ“, offensichtlich veranlagt. – Ich wurde Teil einer Liste.
Nachdem alles vorbei war, sagten sie, ich hätte den Kontakt zur Wirklichkeit verloren, ich sei in einer pathologischen Identifikation gefangen, doch sie waren es schließlich, die mir diesen Namen gaben!
Ich weiß nicht, ob das wirklich der Grund dafür war, dass ich, ganz Mann des Geistes, einige nicht unerhebliche Morde beging. Mit chirurgischer Präzision erledigte ich Sokrates, nahm Kant aus der Welt, vernichtete Descartes, das Schwein. Doch das alles ist mir nicht genug: Shakespeare wartet. Er soll der nächste sein.
Und wer sollte mich auch aufhalten? Ich habe schließlich selbst Zerberus überwunden!

Samstag, 10. März 2012

Ironie des Schicksals

Dies hab ich eben beim Blättern in Genets "Tagebuch eines Diebes" gefunden. Da vor langer Zeit als Gebrauchtbuch erworben, kann ich nicht sagen, wer der Verursacher war, obwohl zu diesem Ende sowieso besser ein anonymer Deus ex machina passt.

Anbei ein eher theoretischer Auszug aus Genets sonst heftig-brutaler, sehr lesenswerter Schrift:
"Diese furchtbare, gefürchtete Ordnung, deren einzelne Elemente ausnahmslos in strengem Zusammenhang untereinander standen, hatte nur einen Sinn: mein Exil. Bis dahin hatte ich ihr heimlich, im Dunkeln, zuwidergehandelt. Nun wagte ich, in sie einzudringen, wagte zu zeigen, dass ich sie angriff, indem ich diejenigen schmähte, die sich ihr fügten. Indem ich mir ein Recht darauf zuerkannte, erkannte ich zugleich meinen Platz im Gefüge."

Doch zurück zur verstorbenen Genet-Leserin, zu deren Ehren ich gerne William Blakes "The Fly" rezitieren möchte:

Little Fly,
Thy summer's play
My thoughtless hand
Has brushed away.

Am not I
A fly like thee?
Or art not thou
A man like me?

For I dance
And drink, and sing,
Till some blind hand
Shall brush my wing.

If thought is life
And strength and breath
And the want
Of thought is death;

Then am I
A happy fly,
If I live,
Or if I die.

Donnerstag, 8. März 2012

Détruire dit-elle

Freiheit finden in der Wahl der Waren, die unser verschwindendes Selbst immer 'authentischer' werden lassen. Die Balance aus Depression und Konsum, die Sublimation in bunten Objekten, in Facebook-Postings und Blogs, die ein zersplittertes Ich weiter als Einheit behaupten sollen, wo gar nichts mehr ist.
Sich in Knechtschaft Dinge wünschen: ein Begehren aufrechterhalten, um nicht aufzubegehren. Nur noch Körper sein zwischen Konsumption und Produktion. Die Machtverhältnisse als Spitze der Nahrungskette und Ende der Warenkette lange internalisiert haben. Im Bewusstsein der ständigen eigenen Sichtbarkeit zugleich Normalität und Alterität produzieren. Den Panoptismus nicht mehr fürchten, sondern genießen, sich in der Unterwerfung einrichten. Mit ihm die Machtstrukturen mechanisch, automatisch, geräuschlos in sich eindringen lassen, bis in die Zusammenhänge der einzelnen Atome des Individuums. Die Überwachung im eigenen Handeln spiegeln. Repressionen unnötig werden lassen und damit paradoxerweise ihre Nichtexistenz beweisen können. 
Partisan und Dissident nur in dem sein, was uns Mode möglich macht. Sich zerstreuen in der Vielfalt der Unterhaltung, der Angebote, der gebotene Möglichkeiten. In schützender Überwachung im Bauch der großen warmen Maschine schlafen.
Fügsam bis zur Nützlichkeit in der Ordnung der selbst organisierenden Systeme, die Ökonomie der Kreisläufe steigern.

Die erzieherische Grenze zwischen Gesundheit und Wahnsinn, die uns allen sagt, wie’s richtig geht. Der psychopathologische Befund, der Anderes und Abweichendes als Krankes behauptet und dann marginalisiert. Das Gesunde zeigt uns die Deckelfolie auf den Joghurtbechern der bescheuerten Bifidus-irgendwas-Milchprodukte: die weißen Rollkragenpullover, die fröhliche Reproduktion, das Lachen in Photoshop.

Wir alle wissen, was Glück ist: die Gesundheit, die Arbeit, der Fleiß, die Kaufkraft, die Bildung, die Abrichtung, die Dressur.

Fuck you!

Dienstag, 6. März 2012

The Doors of Perception

Er klingelt nachts bei mir und flüstert: „Hey, wie sieht‘s aus? Mit Kerouac das Bewusstsein chemisch erweitern, mit Baudelaire den weißen Milchsaft des Schlafmohns trinken oder mit Novalis die schweren Flügel des Gemüts im Opiumrausch heben und des Mandelbaums Wunderöl besingen. Na? Wie wär’s?“

Und mal ehrlich, wer von euch hätte da „Nein“ gesagt?!

Als wir dann unterwegs sind, grummelt er: „Sie haben die Welt zubetoniert und überall die gleichen H&M-Filialen eröffnet, das kann man sich einfach nicht mehr schönsaufen. Es ist doch schlimm genug, dass wir Johnny Cash überlebt haben. An dem Tag hätte man einfach abtreten sollen!“

„Mal ruhig“, sage ich, „Frühlingszeit ist Bastelzeit und wir bauen uns jetzt so eine Art Metro in den Kopf und da steigen wir dann ein und schauen mal, ob da ein Licht am Ende des Tunnels brennt.“

„Alter!“, sagt er, und wieder: „Alter!“ Und dann noch: „Du weißt sowas von Bescheid, Mann!“

Später sitzen wir in der Metro und schauen raus. Es rauscht und blitzt und wir fahren durch Räume voller Dinge und Zustände, in manchen schneit es, in anderen liegt Laub, in einem macht ein Typ einen Kopfstand, der original aussieht wie Bret Easton Ellis, der sich als Holden Caulfield verkleidet hat. Gegenüber flitzt eine Halle voller Französischer ASMP-Lenkwaffen mit TN81 Sprengkopf vorbei, dann brennende Wälder, zwei Strandbars, ein Kino, in dem ein Film von den Marx Brothers läuft, Jane Fonda als Barbarella, die Beerdigung von Maguerite Duras – so geht’s Stunde um Stunde weiter und weiter down the rabbit hole.

Am Ende ist alles ruhig und dunkel, wie ausgeknipst. Die Stille ist so total wie die Abwesenheit jeglichen Lichts. Wir stehen vor einer völlig schwarzen Wand und er sagt: „Jetzt ist es soweit. Setz‘ die Sonnenbrille auf!“

Samstag, 3. März 2012

Kleines Literaturrätsel (II) - Wer bin ich?

Ein spitzer länglicher Metallstab macht seinen Weg durch die Luft, schneller und schneller – und verfehlt nur knapp den einen,  der zwei Vogelarten miteinander verwechselte, bevor er sich aus dem Schlafzimmer stahl. Drei Geschichten erzählt er mir später, und in der letzten der drei spricht endlich der Vogel und gibt sich zu erkennen. War es Mutterliebe oder ein Traum? - das frag ich mich, nachdem er mir von alledem berichtete und sich über den Zusammenhang ausschwieg.
Ich kenne ihn von früher, als wir beinahe noch Kinder waren.

Freitag, 2. März 2012

Eine Fledermaus
Hat sich auf mein Herz gesetzt
Und sich mit den Füßchen verheddert
In all den Datenkabeln, die da liegen
Und ich hab ihr helfen wollen
Zwischen USB und HDMI und Digital Koaxial
sATA und ‘was Proprietärem von meinem komischen MP3-Player
Doch dann stellt sich heraus:
Sie hängt fest mit den Senkeln ihrer batmanmäßigen Schnürstiefelchen
Und die zieht sie aus und flattert und ruft
Barfuß fliegen ist eh viel schöner

Jetzt werdet ihr sagen
Das ist doch Quatsch
Das glauben wir nicht
Doch jeder, der mich besucht
Staunt über die ledernen Stiefelchen
Die so filigran sind
Dass man nicht einmal mit dem kleinen Finger hineinschlüpfen kann

Donnerstag, 1. März 2012

Adbusting, Subvertising, Culture Jamming (II)

Für diejenigen, die das Update im Artikel weiter unten noch nicht bemerkt haben: Neue Entdeckungen an der Adbuster-Front in PB :)