Mittwoch, 30. November 2011

Die entschlossene Kommunardin

Ich kannte mal ein Mädchen
Mit langem dunklem Haar
Fest unterm Arm drei Bücher
Und Augen aus Gefahr

Ein Engel war sie selten
Ihr Reden war oft kalt
Sie konnte sich nicht bremsen
Vor düsterer Gewalt

Das Eigentumsverhältnis
Bracht‘ sie in wilde Wut
Mehrwert der zirkulierte
Wird Zeit, dass man was tut

Sie sprach mir von der Herrschaft
Im Dienst des Kapitals
Erträumte stilles Plündern
Des Waffenarsenals

Ich küsste sie ganz zärtlich
Doch sie blieb völlig stur
Zu ändern ist, so sagt sie,
Die ökonomische Struktur

Dienstag, 29. November 2011

Celebrity Deathmatch: Jesus vs. Das Kapital

"Da flocht Jesus sich eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle samt ihren Schafen und Rindern aus dem Tempel hinaus, verschüttete den Wechslern das Geld und stieß ihre Tische um und rief den Taubenhändlern zu: ‚Schafft das weg von hier! Macht das Haus meines Vaters nicht zu einem Kaufhause!‘"  (Johannes 2, 13f)

Was nur, frage ich mich, können wir von Jesus lernen? 
Ernst Bloch nennt Jesus immerhin "das Zeichen, das der Herrenmacht widerspricht [...]. Dabei hatte Jesus eine Revolution der ganzen Welt im Auge [...]. Es geht um den Zusammenbruch der Welt insgesamt, um die Zerstörung der bestehenden Herrenmacht."

...und so eine Geißel ist schnell gebastelt, Herr Ackermann...

Sonntag, 27. November 2011

Gegeneinander

Jeden Morgen erwache ich, erzählt sie, und mir gegenüber sitzt eine Fremde, die ich nicht lieben kann. Ihre Augen sind die meinen, ihre Hände greifen gleichzeitig mit mir nach Tasse und Messer, unsere Bewegungen sind Schatten der anderen. Und doch lacht manchmal die eine während die andere schweigt, und doch weint die eine und die andere liest ein Buch. Wenn sie einander begegnen schweigen sie sich an, versuchen voreinander davonzulaufen, ohne dem Spiegel entkommen zu können.
Zusammen drehen wir den Schlüssel im Schloss, fahren mit der U-Bahn zum Stadtrand und starren auf die Hochhäuser. Die eine betrinkt sich, die andere bleibt nüchtern, um sie an Worte zu erinnern, die nicht aufgeschrieben wurden. Ich hasse sie.

Samstag, 26. November 2011

Crazy Clown Time

Zeit für einen letzten Spaziergang, es scheint allerdings kalt zu sein, mondlose Nacht. Die Häuser tun die Augen auf, der Wald steht schwarz und abgedrängt und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wunderbar. 
Im Park steht ganz zentral ein gigantischer stählerner Müllcontainer, den ich umstreife wie ein Pilger die Kaba, die Hündin hält Abstand und das Ding für verdächtig. - Das ist vielleicht genau die richtige Situation, um in das neue David Lynch-Album "Crazy Clown Time" mal reinzuhören. Und wirklich: es wird unwirklich.
Plötzlich steht in roter Schrift "Dutschke" auf dem Container und er sieht irgendwie auch ein wenig rebellisch aus. Ich flüstere "Ey, Rudi, altes Haus, biste da drin?", doch niemand antwortet. Vorsichtig klopfe ich an die metallene Wand und hohl klingt es wieder. Ich lausche, klopfe abermals, räuspere mich und sage "Herr Dutschke?" - Nichts geschieht.
Die Hündin kommt zurück und fragt, ob es denn nun weiterginge, ich hätte schließlich lange genug am Container gestanden und ganz offensichtlich sei Rudi nicht darin, außerdem sei "Dutschke" ja nur ein Nachname wie tausend andere auch, da könne ich doch wohl kaum schließen, dass, wo Dutschke draufstehe, auch Rudi drin sei, sie habe da so ihre Erfahrungen - und sowieso, Worte seien im Allgemeinen nur Schall und Rauch, abgesehen davon habe sie eine auffällige Ähnlichkeit des Containers mit dem Monolithen aus "2001: A Space Odyssey" bemerkt, die ihr Anlass zur Sorge gäbe, es wäre, bitteschön, ganz freundlich von mir, mit ihr gemeinsam Fersengeld zu geben.
Ich sehe sie an und frage einigermaßen erstaunt: "Du? Seit wann magst du denn Kubrick?"

Donnerstag, 17. November 2011

Heavy Rotation

Die überschätzte Diagonale legt sich quer, in den Halbrunden der Hörsäle gehen die Uhren aus, verwegene Vaganten biegen Skulpturen aus nächtlichen Gleisen im Dunkel kauernder S-Bahnen. Die Stromproduktion läuft an, die Pipelines sind für uns alle gut, vor allem für die Hirten und die Schafe. Im lockigen Fell zeichnen sich Muster ab, Mandelbrotmengen vorhersagbarer Börsengänge. Einerseits muss man ganz dringend schlafen gehen, andererseits kann man nicht aufhören mit dem Nachdenken. Immerhin steht die Invasion kurz bevor, die hellen Bäuche der Alienschiffe schimmern durch die Wolkendecken über jeder größeren Stadt. Dazu wummern die repetitiven Strukturen industrieller Abläufe wie serielle Musik für ganz ganz helle Köpfchen.
Mal ehrlich: wer würde sich in dieser Welt nicht zu Hause fühlen?
Na, eben: Monsieur!

Sonntag, 13. November 2011

Rochade

Pessoa legt Hut und Mantel ab, die schwarzen Schuhe glänzen wie frischer Kaffee. Er kniet sich vor die Truhe und verstaut drei seiner Schatten darin. In den Spiegeln die Gesichter der anderen, die sich für eine andere Sprache und andere Worte verbürgen, Futuristen, Romantiker, sogar Realisten. Sie alle versammeln sich um ihn, schlagen in der Stille die Augen nieder. 
Die große Müdigkeit klopft sachte an die Tür, das Licht sieht sich aus dem Zentrum des Raumes gedrängt, nicht abgeschickte Briefe lesen sich flüsternd in fremden Sprachen selber vor.
Ein kalter Wind weht durch die Rua Coelho da Rocha als Pessoa mit zittriger Schrift auf das leere Blatt schreibt:
"I know not what tommorow will bring."

Dienstag, 8. November 2011

Teilchenbeschleuniger

Da will man uns Eigeninteressen als gesellschaftliche Allgemeininteressen verticken. Und Angst machen – zitternd vor Angst ist man ja immer schnell für alles zu haben, was Besserung lügt. Wie leicht wird man zum Komplizen. Und wer hat nicht alles schon den Orden wider den tierischen Ernst bekommen? Wie auch immer: Jede Rappelkiste-Sendung enthält mehr politische Theorie als ein Abend auf N24.
Werfen wir doch lachend die Holzschuhe in die Maschine, stören die Mechanismen und Automatismen. Was nicht mehr rund läuft wird bunt. Die Dysfunktionalität der Systeme macht das Individuum groß, in der Zerschlagung des Allgemeingültigen ist jede angebliche Wahrheit zu prüfen, jede Autorität zu verlachen, jede angebliche ‚Alternativlosigkeit‘ unakzeptabel.
Durchschreiten wir das strategische Feld der Machtbeziehungen, entblättern die hegemonialen Strukturen, lassen den Widerspruch zum Einspruch werden, dekonstruieren die Worte der Vielsprecher, lassen uns nichts vordenken! Wir sind der Schwarm, wir wissen mehr, wir hören und sehen alles.
Wenn wir auf einem Weg nicht durchkommen können, wählen wir einen anderen.

Sonntag, 6. November 2011

Ein Traum

Im harten Bett des Winterschlafs
liegt einsam eine Möhre
Ich schlaf heut nicht, ich bleib noch wach
Ich will sie doch nicht stören