Samstag, 30. Juni 2012

Killing Time

Es ist nicht so sehr die Zeit das Problem, als deren stetiges Vergehen, seit sie allgemein als etwas exakt Quantifizierbares angesehen wird.
Gestern einen Tag lang rückwärts gesprochen, um mich dagegen zu stellen, scheint mir allerdings noch ineffektiver als Schweigen. Versuche mit Schwerkraft, Gitane Maïs und Fluchtgeschwindigkeit des Planeten erfolglos. Bisher maximale Zeitdehnung nur mit sorgsam dosierten Drogen erreicht, hier allerdings stark herabgesetzte Aufmerksamkeit, im Prinzip nur noch Zeiterfahrung, aber nicht deren Verschwinden erreicht. Nach nächtlichem Einbruch in Betriebsgelände unzureichende Annäherung an Lichtgeschwindigkeit im Rückwärtsgang auf der Teststrecke eines hiesigen Automobilkonzerns erfahren. Experimente mit Gin und absoluter Dunkelheit zeigen nur marginal positive Ergebnisse, außerdem leichte Handlungsbehinderung durch totale Finsternis. Kopfstand auf Friedhöfen scheint auch wenig zielführend zu sein.
Für morgen Nacht geplante  Versuchsreihe:  Trampolinspringen unter psychoaktiven Pilzen bei Wiederholung des immer gleichen Satzes, ausgewählte Sprache: Die hochlandostkuschitische Variante Sidama, hat bereits bei früheren Experimenten wertvolle Dienste geleistet. 

Donnerstag, 28. Juni 2012

Sonntag, 24. Juni 2012

Kleines Literaturrätsel (IV) - Wer bin ich?

Nicht allzu lange nachdem die Bomben gefallen waren, wurde ich Chef einer Bande, die wenig Gutes im Sinn hatte. Er war neu bei uns und wir verspotteten ihn wegen seines Namens, nannten ihn nur noch T., damit wir nicht in Lachen ausbrechen mussten. Und ich hätte T. aufhalten können. Er war mir gleich von Anfang an unheimlich. Etwas in ihm war anders.
Später, als wir alle zusammen das Gebäude in Schutt und Asche legten, gab es einen Moment, wo T. uns aufforderte, die Sache zu Ende zu bringen. Sein Blick war unerbittlich und ich verstehe bis heute nicht, wie er unsere Gruppe zu einer Art von Vernichtungsmaschinerie formte, zu einer rasselnden Mechanik die alles zu Staub zermahlte. Ich verstehe auch nicht, warum wir das Geld verbrannten, es nicht einfach behielten und davon liefen.
Ich war Anführer einer Bande, die jetzt nur noch auf T.s Worte hört. Auf seine kalten und ruhigen Worte.

Montag, 11. Juni 2012

the music that they constantly play...

Ganz genau wie ich mir das vorgestellt habe: DJ Schnürschuh legt auf und es ist ziemlich Old School und etwas Detroit, nur noch deeper.
Apropos DJ Schnürschuh: habe gesehen, wie er angekommen ist mit seinen Plattenkoffern und Turntables. Er fährt einen Bulli, den er wie einen Tiger angemalt hat (vorne hat er doch tatsächlich aus alten Kabeln noch ein paar Schnurrhaare angeklebt) und hinten drin ist so eine Spielwiese aus bräunlichen Cordkissen, falls er, wie er formuliert, „willfährige Bitches abgreifen“ kann. Seinen Tigerbulli nennt er deswegen in Abwesenheit von Damen (und meiner Meinung nach reichlich prosaisch!) gerne die Bumsburg. – Nicht, dass ihr jetzt glaubt, ich würde DJ Schnürschuh besser kennen, nein, er erzählt das gerne jedem, der nicht bei 5 auf den Bäumen ist.
Auf jeden Fall spielt er Cybotrons Alleys of you Mind und was von Blake Baxter oder Octave One. Das ist jetzt nicht so ganz meine Musik, aber die Bude ist ziemlich abgedunkelt, wir haben alle was Buntes im Glas und einer improvisiert auf seiner Sitar dazu, bis wir unisono überzeugt sind: das ist der Sound der Zukunft. Wir trinken aus neuen Gläsern andere bunte Sachen und essen Früchte, die in Wodka oder Absinth oder was auch immer eingelegt waren. Das schmeckt uns irgendwie. Verdammt, ja, und es zeigt auch Wirkung: Existenzielle Wesensmerkmale wie Faulheit und Muße kristallisieren sich aus der um sich greifenden Entschleunigungstaktik und einer schreit, kaum mehr bei Sinnen: "Durch die Nacht, die mich umfangen, blickt zu mir der Töne Licht." Die Sache war die: es ging uns nicht allzu schlecht.
DJ Schnürschuh fummelt sich unterdessen ein Mash up zusammen aus 'nem Stück von Underground Resistance und irgend einem symphonischen Tribal-Zeug, stapelt Loop auf Loop und Fläche auf Fläche – wirklich keine Ahnung, was das werden soll, wenns fertig ist.
Als es dann fertig ist, ist das ein ganz versponnener Track, der so richtig endlos mitten hinein in das Bewusstsein fährt, wie eine alte Dampflok, nur deeper, und gleichzeitig so eine Gemütlichkeit und ein Lass-dich-mal-reinfallen ausstrahlt, wie ein altes geliebtes Sofa, das man vor dem Sperrmüll gerettet hat, wo man dann mit seinem Hund zusammen drauf rum liegt und mit dem Fuß wippt und sich mit Fingerfarbe was richtig Nettes ins Gesicht malt. - - Wir erfahren einen Moment totaler Unschuld und ein besonders sensibles Mädel mit grünen Strähnen im Haar vergießt rythmisch ein paar heiße Tränen.
Alles in allem baut der gute alte Schnürschuh uns ein soundiges Zuhause und keiner will mehr weg, bis irgendwer ein Fenster aufmacht und man von draußen die blöden Vögel kreischen hört mit ihrem hektischen „Das-ist-jetzt-dieser-dolle-frische-Morgen“-Ding.
Schnürschuh dreht die rpm was runter und wir segeln auf einer Barke in eine behagliche Sonnenfinsternis, bis ich höre, wie er rumflüstert, wenn die Mädels jetzt müde wären, er hätte da ne total bequeme Liegefläche im Bulli, da wärs auch warm und man könnte es ganz dunkel machen, nein, das bereite ihm keine Umstände, ja, da sei auch Platz für drei.
Na denn, denke ich. Und zum Abschluss läuft, mit abgeregeltem Tempo und total hypnotisch Nine while nine, und Chrissi, ja Chrissi hat auch noch was ganz Leckeres zu rauchen da. Und während er mir mit nonchalanter Geste etwas davon rüber reicht sagt er "Die gesellschaftliche Wirklichkeit hat mit dieser Nacht absolut nichts zu tun, leider."

Mittwoch, 6. Juni 2012

Ja, ist denn schon Weihnachten?


Die neue französische Regierung unter François Hollande zieht den vor der Wahl vorgestellten Plan anscheinend durch. Erster Schritt: die Kürzung der eigenen Gehälter um 30%, damit verdient Hollande 70.000 € weniger als Sarkozy. Aber es kommt noch besser: zum Juli wird es einen Erlass geben, der die Spitzengehälter von Managern und Führungskräften der Staatsbetriebe und der Betriebe mit vorwiegend staatlicher Beteiligung begrenzt - und zwar auf das Zwanzigfache des niedrigsten gezahlten Lohns im jeweiligen Unternehmen.
Wo kämen wir denn da hin, wenn das Gehalt des Chefs an das eines einfachen Fließbandarbeiters gebunden wäre? Unverschämt, meinen Arbeitgeberverbände und verschiedene Konzernspitzen.
Und wie geht's weiter? Eben lese ich, dass Hollande ein weiteres Versprechen einlöst: Die auf viele Proteste getroffene "Rentenreform", aka Erhöhung des Rentenalters, wird teilweise zurückgenommen. Arbeitnehmer, die mindestens 41 Jahre eingezahlt haben, können wieder mit 60 Jahren in Rente gehen, Erziehungszeit wird stärker als bisher auf die Arbeitszeit angerechnet.
Das Ganze mausert sich allmählich zum handfesten Gegenentwurf zum Sozialabbau anderer EU-Staaten.
Wird das alles so klappen? Ich weiß es nicht. Aber es ist schön, dass es jemand versucht!

Dienstag, 5. Juni 2012

Bricolage exorbitant


Jeden Tag ein neues Kunstwerk, sagt der Vater zum Sohn und baut mit ihm aus einem alten Schuh, einer Miesmuschel, dem Fellbüschel eines Ozelots und etwas Fimo eine Büste von Andreas Baader, die sie mit Strohhut und Sonnenbrille verfeinern.
Das ist mir zu Pop, sagt der Sohn und versteckt das Ungetüm tags darauf beim Geocaching.
Bald basteln die beiden aus 4 Stunden fallendem Regen und 7 Kilo Straßenkreide einen Carport, der sich nicht verstecken muss. Der Vater fährt seinen verbeulten Polo darunter und beide wundern sich doch ein wenig, dass das Teil seinen Zweck ganz gut erfüllt.
Schnell konstruieren sie aus einer nicht unerheblichen Menge Himbeermarmelade, einem Päckchen Vanillinzucker, 28 Holzschrauben, 20 ml Terpentin und ein paar Säcken Blumenerde und Rindenmulch eine Fin-de-Siècle-Stadtvilla, in der sich ganz prima leben lässt.
Bei alledem, sagt der Vater, darfst Du nie vergessen, dass Bohrmaschine und Heißklebepistole die wichtigsten Segnungen der Menschheit sind!
Ich weiß, sagt der Sohn, solange die Gedanken nur kühn genug sind, lässt sich damit alles bewerkstelligen.
Eben!, sagt der Vater, Das ist der magische Idealismus. 
Und, fragt der Sohn, was stellen wir morgen an?
Da sagt der Angesprochene: Denk Dir was aus, wir haben hier noch eine alte Hundeleine, zwölf Quarkspeisen, die Armlehne eines Rattansessels, eine kaputte Uhr und jede Menge Pfandflaschen...

Sonntag, 3. Juni 2012

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Der helle Schlaf in blauem Morgen, eben noch raus an den See, die träumenden Enten erschrecken und mit Kreide Licht auf die Wege malen, vor dem Tagesanbruch weglaufen, die alte Dunkelkammerleuchte bemühen und an einen heißen Julitag denken, an eine Nacht ohne Ende, die man über ein Notizbuch gebeugt in einer staubigen Scheune zu Papier bringt.
Die Schritte und Kinderschuhe mit gebrochenen Sohlen, das Archiv aus lauter Gestern, wo Tage wie Dominosteine Spalier stehen und doch einer heraussticht. Und es gibt Neues und auch Unwiederbringliches, bei dem alle Technologie nichts nützt, die Aufzeichnungen leiser werden, wie durch Jahre verrauschte alte Magnetbänder.
Man trinkt ja aus Prinzip keinen Magenbitter, aber wenn nichts anderes im Haus ist, nun ja, dann könnte man damit vielleicht ein mnemotechnisches Wunder vollbringen, den Gedächtnispalast betreten, die Kette der Augenblicke rekonstruieren, die sich, Herzschlag auf Herzschlag, an dieses unbedingte Gefühl von Abenteuer annähern, welches mir damals, in der Julihitze der alten Waschküche meiner Großeltern im Erinnern den Atem stocken ließ.