Freitag, 15. Februar 2013

Jagdfreie Zeit

Jetzt hört mal, Leute. Ihr müsst auch mal die Waffe aus der Hand legen, mal keine Bombenkochbücher downloaden und keine Zündkapseln an Lichtschranken anschließen. Einfach mal die Brandsätze ins Schaumstofffutter der kleinen Koffer zurücklegen, die ihr immer so auffällig um die Fundamente der Hochhäuser bewegt.
Ist schon klar, was ihr wollt und wofür ihr kämpft, aber wie wärs denn mal mit etwas zünftiger Protestlyrik, gerne auch so Rolf-Dieter Brinkmann-Style, oder vielleicht ein Gegenwartsdrama, das den Finger auf die wunde Stelle legt, der Gesellschaft mal so richtig den Spiegel vorhält. Oder was mit Kerzen, Lichterketten und Schweigeminuten, Leserbriefe oder mal ein Streik, aber nicht zu lange. Nicht, dass der Infrastruktur noch die Puste ausgeht.
Oder eine Petition, ein Bürgeraufbegehren, aber bitte nicht übertreiben - es muss alles im Rahmen bleiben - und keine allzu bösen Worte. Protest-T-Shirts sind auch was Feines oder mal einen kleinen Sticker, aber bitte nur an die dafür vorgesehene Stelle kleben, keine Sachbeschädigung riskieren. Man kann ja auch auf den Facebookseiten der großen Konzerne mal was Kritisches schreiben, oder vielleicht was Kritisch-Konstruktives, gleich mal einen Verbesserungsvorschlag posten. Oder andere Konzerne, die irgendwie mehr in die Ethikpromotion investieren liken, aber mal so richtig: inklusive teilen und doppel-liken.
Sublimiert doch mal die ganze scheiß Aggression (am besten im Netz - das Netz schluckt doch alles), so kanns doch nicht weitergehen. Wie wärs denn mal mit ner schicken Videoinstallation zu Transparentmachung hegemonialer oder sonstiger Machtverhältnisse? Oder zur Mythenanalyse? Oder zu geschlechterspezifischen Stereotypen? Einfach mal Bildende Kunst statt Bombe. Pinsel statt Zündschnur, Füller statt Heckler & Koch.
Und jetzt fangt mir nicht an, diesen Kram im öffenlichen Raum zu verteilen, reicht doch schließlich, wenn ihr das in euren Hinterhöfen und Garagen macht!

Dienstag, 12. Februar 2013

Was sollen die Texte nur von uns denken?


Robert Johnson hören in der Bibliothek
Beim Überqueren des Zebrastreifens an Barthes‘  Tod denken
Spiegeleier essen im Collège de France
Dem Brahmanen die Nougatschokolade klauen
Zaghaften Bildhauern Dynamit schenken
Dem Leser die Wahl der Waffen überlassen
Die Tapisserie im Palais Faubourg verachten
Unter der Dusche Bruges-la-Morte lesen
Vom Verkehr umströmt, inmitten der Kreuzung schreien:
Ich bin Edmont Dantès, Kapitän der Pharao!

Sonntag, 3. Februar 2013

Abwesenheit


Man findet eine alte Brille wieder, die mittlerweile ein nicht mehr ganz scharfes Bild produziert, reibt sich die Augen und schaut stundenlang Fotos von früher an.
Da gibt es Menschen, die nun nicht mehr leben, die man vermisst, schmerzlich vermisst. Deren Verschwinden zum Verdrängten gehört, damit die Tage leichter fallen.
Diese rohe Realität der Fotos haut einem das ganze Gewesen-Sein um die Ohren, das ist keine Simulation: es ist so gewesen. Und in der hellen Kammer tapsen wir umher, zwischen den Zeiten, zwischen alten Kaffeekannen und Porzellanfiltern, Gesichtern, Nächten und Himmeln.
Die Fotografie entblößt jedes Detail, öffnet die Adern der Vergangenheit, produziert eine totale Distanzlosigkeit.
Zwischen alledem, den Bildern der Freunde und Dinge und Orte, erblickt man sich selbst in der Spiegelung einer Scheibe: Schemenhaft halte ich die Kamera, deren Objektiv eine Wirklichkeit verfügbar macht und entzeitlicht. Was Barthes „unbedarfte Kontingenz“ nennt hat die Wucht einer Wahrheit, die in Umrissen wahrnehmbar wird.
Mit Hilfe der Fotografie betreten wir die Ebene des Todes, betreten die Welt des Gewesenen, des nicht Wiederkehrenden, des Unumkehrbaren.
Und doch flüstert die Fotografie auch leise von Auferstehung.
Es ist dieser Schwindel, der so sehr schmerzt.