Mittwoch, 23. Dezember 2009

Keinerlei Initiationszeremonien. Besser so.

Am 11.01.2010 geht's los: Das von Marvin Kleinemeier organisierte Lektüreprojekt zu Roberto Bolaños Roman Die wilden Detektive (1998) startet auf www.wilde-leser.de.

Bitte reinschauen! Und am besten mitlesen und mitdiskutieren. Auf ins Abenteuer, ins Dunkle, den unbekannten Raum zwischen den Wörtern...

Bleibt mir, allen die hier lesen, eine gute Weihnachtszeit zu wünschen. Passt auf euch auf! Und macht mir keine Fisimatenten :-)

Montag, 9. November 2009

Schneeflöckchen

Wenn es doch nur mal schneien würde. Ganz leise schneien. Die Welt unpassierbar, in den Seen eingefrorene Fische. Und ich würde meine Möbel verbrennen, in einem einzigen Zimmer wohnen, jeden Morgen neue Eisblumen auf den Fensterscheiben. Endlich mal Perecs "La Disparation" lesen, auf Deutsch, weil ich natürlich zu faul bin es im Original zu genießen - und ja, ich weiß, dass mir da ungefähr eine Million ganz fantastische sprachliche Feinheiten entgehen. Aber die Hauptsache fiele mir auch in der Übersetzung auf - das fehlende "e", ein ganzes Buch ohne "e". Wie muss das den Übersetzer in den Wahnsinn getrieben haben.
Vielleicht sollte ich auch ein Leipogramm schreiben, hätte ich ja Zeit dazu, wenn ich völlig eingeschneit wäre. Vielleicht sollte ich mir zum Hund dann noch ein paar andere und einen Schlitten anschaffen. Könnte ja dann während der Schlittenfahrt ewig lange Leipogramme verfassen. Oder den Hunden beibringen, Buchstaben in den Schnee zu laufen. Und abends könnten wir uns bei den warm brennenden Möbeln arktische Geschichten erzählen. Aber wie lange würde das Mobiliar vorhalten? Und der Schnee? Und die Worte?

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Viele

Semesteranfang, alles überfüllt, kein Platz nirgends, schon gar kein Sitzplatz. Mehr als 300 Leute melden sich an für mein Seminar zum Thema "Suizid und Literatur". Das ist doch deprimierend. Da will man doch nicht hingehen, schon gar nicht im Winter.
Da ich als Dozent im Online-System die Teilnehmerzahlen der anderen Seminare nicht einsehen kann, leihe ich mir - ganz konspirativ - einen Studi-Login - und siehe da, es gibt sie, die Perlen der Einsamkeit. Seminare mit 2 (in Worten: zwei) Anmeldungen, oder auch 4 oder auch 8. Warum soll denn ich, ganz Sisyphos, den Stein allein den Berg hinauf rollen, ihr Lieben? Ich hab sieben Seminare mit durchschnittlich mehr als 100 Studierenden = 700+ Studierende.
Soll denn nicht der eine die Last des anderen schultern? - oder sollte ich lieber sagen: "Sie säen nicht und ernten doch."

Freitag, 18. September 2009

Lustiger als Shandy...

Mal ernsthaft! Die Komödien von Plautus, sowas hat man ja noch nicht gesehen. Zum Totlachen, das. Terenz ist fast noch besser. Schade, dass von Naevius nichts mehr zu lesen ist.
Da erzählte mir doch einst jemand, er käme aus dem Lachen gar nicht mehr heraus, wenn er den Shandy läse, den echten, originalen Shandy - ein Buch für den Nachtisch. Aber halt: Da liegt ja schon die Minima Moralia, auch so total superlustig und zum Wohlfühlen - mit allem pipapo. Und geraucht haben die damals, du glaubst es nicht.
Die Diskussionen mit Adorno aus den Sechzigern werden echt zu selten wiederholt im Fernsehen, vor lauter Qualm kann man den T.W. gar nicht mehr sehen.
Fällt mir ein: Dieses Jahr gibt's, wie alle Jahre, wieder den wundervollen Theodor.W.Adorno-Lookalike-Wettbewerb in Berlin. Will ich jedes Jahr hin, schaffe es aber nie. Bin zu müde vom Shandy-lesen. Da kann ich nämlich gar nicht so irre drüber lachen, wie man immer sagt.
Und was mich doch immer wieder beschäftigt: Der Gebrauch der Freiheit. Das ist vielleicht das Denkproblem, was allen anderen vorgeschaltet ist. Der Gebrauch der Freiheit.

Heißt das nicht auch: Verschwenden aller Möglichkeiten, Nicht-Realisieren der Optionen.

Und was hat das mit den römischen Dramatikern zu tun? Ich weiß es nicht. Das Nicht-Festhalten der Gedanken ist vielleicht der beste Umgang mit dem Ganzen. Sie schwimmen vorbei. Catching the big fish. Und je tiefer wir ins Wasser tauchen, desto größer sind vielleicht die Fische.

Der Gebrauch der Freiheit.
Ja, was zum Teufel fängt man damit an?!

Donnerstag, 6. August 2009

K a f f e e * B W V 2 1 1

- „Sag mal, kann ich die Musik was leiser drehen?
- „Nur zu, nur zu.“, nickte er.
Seit Tagen hörte er diese Platte, er hatte sie irgendwo auf dem Trödel erstanden, ich hatte darunter zu leiden. Nicht, dass sie schlecht gewesen wäre, nein. Aber drei Tage sind ein großer Teil des Lebens, drei Tage mit dieser gottverdammten Platte im Ohr. Zwischen den Songs konnte ich seine Stimme hören, wie sie von Afrika erzählte. „Äthiopien is’n riesiges Land.“, sagte er und nickte sich selbst bestätigend zu. „In Äthiopien kam irgendwer auf die Idee die Bohne zu rösten.“
Ich konnte es nicht mehr hören. Ich konnte seine Ausführungen zu den Brühverfahren und zur idealen Rösttemperatur (ja, ja, irgendwo im Niemandsland zwischen zweihundert und zweihundertzwanzig Grad Celsius) kaum mehr ertragen. Dabei war er nicht einmal betrunken.
Ich stand auf und drehte die Musik 'ne Nummer leiser. Puh, diese Nächte.
- „Der Orient und Mekka. Alles wichtige Stationen.“, deklamierte er am Fenster stehend, in seiner Hand die Tasse.
- „Weißt du“, sagte ich, „ein paar Marotten hast du, ehrlich.“

M u t a b o r

Die Tage zerschnitten in winzige Abschnitte, Altersvorsorge bedenken, so viel wie möglich kalkulierbar machen, sich endlich ein Uhrenarmband in der richtigen Größe kaufen, die Waschmaschine anstellen, das Weinlaub zurückschneiden, den Ölstand kontrollieren, das Leben den Produkten anpassen, beinahe nie mehr rauchen, die Mittelstreifen der ausgefahrenen Straße nachziehen, seine Habseligkeiten verstauen, zwei mal im Jahr in Urlaub fahren, Sachen vorschnell wegwerfen, die man scheinbar nicht mehr braucht.

Und die Traurigkeit ist so substanzlos, so ohne ersichtlichen Grund, dass ich nichts in ihr sehen kann als eine zufällige Regung, die über mich kommt wie ein lästiger Schluckauf. Man denkt, man gewöhne sich daran mit der Zeit, man denkt, wenn es keinen Grund gibt, gibt es auch keine Traurigkeit, und eben wenn man alles durchdenkt ist sie da, setzt sich zu mir, setzt sich auf mich, setzt sich in mich.

Die Vögel ziehen ihre Ellipsen vor meinem Fenster, es beginnt zu dunkeln, die Silhouette des Dachfirstes bleibt als exakte Linie am Horizont stehen, davor die Schatten der Flügel, die Schatten der Schnäbel.

Dienstag, 16. Juni 2009

Spiegelstadium

Im Sommer hingen die Bauern Streifen aus Aluminiumpapier in die Bäume, um diebische Vögel zu vertreiben. Im ersten Jahr blieben sie fern, im zweiten beobachteten sie argwöhnisch, im dritten wagten sie sich heran, im vierten amüsierten sie sich darüber und erblickten an windstillen Tagen ihr Spiegelbild voll Erstaunen in dem Metall.

Heiligenstadt, 6ter Oktober 1802

Ludwig van Beethoven hat nach der Ertaubung seine Gespräche mit dem Stift in Konversationshefte gekritzelt. Darum weiß man, dass er zuweilen ein sehr unfreundlicher Mensch sein konnte. Mich hatte das nicht gewundert. Vielmehr hatte mich gewundert, dass auf diese Weise Teildialoge entstanden sind, die in ihrer Kürze und Schärfe nie zuvor auf dem Papier festgehalten worden waren. – Die Konzentration ist eine seltene Kunst. Das versammeln aller Kräfte auf kleinstem Raum.

Vor kurzen las ich, dass man nach Piet Mondrians Tod nur sieben Bücher in seinem Atelier fand. Das scheint mir bewundernswert. – Auf eine bestimmte Weise hat auch hier eine Konzentration stattgefunden.

Der Abend fällt durchs Fenster, das Dämmerlicht umgibt den Körper, der in angenehmer Temperatur weder Hitze noch Kälte empfindet. Das alles ist eine Webarbeit, eine Arbeit mit der Materie, die ich in Berührung nicht fassen kann, die jedoch in Bewegung erfahrbar wird. Kein Geheimnis umgibt dieses unperfekte Perpetuum Mobile, sondern nur das schwindende Licht, die Abwesenheit von jeglicher Erfahrung, die Abwesenheit eines Planes.

Und auch die Sätze sind auf eine helle Weise Ohren, die nicht nur aus der Welt nehmen, sondern auch in sie hinein stehen. Das zu begründen fällt leicht.
In der Dunkelheit existiert der eigene Körper nur als Gefühl, als unzerstörbares Ganzes. Das ist tröstlich und schützt vor der Angst. – In mancher Musik wird die Präsenz eines anderen Körpers spürbar. Plötzlich und ganz unmittelbar. Diese Erfahrung ist wie ein Wunder. Es bleibt ohne Ankündigung und ohne Beweis.

Mittwoch, 3. Juni 2009

Denk mal an

"Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt aus dem Nichts hervor, die einzig wahre und denkbare Schöpfung aus Nichts."
G.F.W.Hegel

Mittwoch, 27. Mai 2009

Wie wahr

Wir suchen überall das Unbedingte,
und finden immer nur Dinge.


Novalis, Blüthenstaub

Sonntag, 10. Mai 2009

Nicht-Verstehen und Geheimnis

Geht es der Romantik vielleicht allein um das Wieder-Einholen, das narrative "Fingieren" und wieder In-Besitz-Nehmen der Kindheit? Ist das ganze Mittelalter als idealisierte Vorzeit, als goldenes Zeitalter, nicht einfach Abstraktion der Kindheit, als Drachen und Ritter noch denkbar, vielleicht sogar sinnlich erfahrbar waren? Ist Novalis’ ‚Herzreligion’ nicht der – auf hohem theoretischen Niveau revitalisierte – naive Kinderglaube, der alles wieder heil macht? Und Eichendorff: Geht es ihm mit seiner idealisierten Natur, seinem 'Waldesrauschen' voller pantheistischer Allusionen, letztlich nicht vor allem darum, den wunderbaren Möglichkeitsraum der Kindheit wieder zu erwecken – und das Kind, anknüpfend an Herder und Rousseau, als den „natürlichen“ Menschen zu begreifen?

Bleibt noch E.T.A. Hoffmann: Das Monster unterm Bett, der teuflische Hausgast – sind das nicht kindliche Angstfantasien? Dunkle Träume des kleinen Ernst, weswegen er seine Füße flugs unter die Bettdecke zieht, wenn die Mutter des Nacht das Licht löscht?


Ist die Poetologie der Vermischung und Potenzierung des ästhetischen Raumes durch die Sprache nicht das kindliche Fantasieren, das wilde Denken, das Aufheben der Schranken, die Basis der kategorialen Welt der Erwachsenen sind?

Ist dann die Verzauberung der Welt nicht allein das vom kindlichen Nicht-Verstehen produzierte Geheimnis? Sehnen wir uns nicht alle nach einer Welt, die nicht vollständig logisierbar, nicht durchweg intelligibel ist, und die uns dennoch nichts anhaben kann?

"Aber", sagt da plötzlich jemand, "so ist die Kindheit doch gar nicht".

Dienstag, 5. Mai 2009

Celebrity Deathmatch: Determinismus vs. Freiheit

Kein Gott über uns und alle Verantwortung in unseren Händen - wir sind Menschen. Wir entscheiden, wir sind frei, wir können uns nur selbst trösten oder richten. Was geschieht, wird von uns gemacht - sinnlos, sich dem zu entziehen, sinnlos, sich zu berufen auf höhere Mächte, metaphysisches Geschwurbel usw.
Wir können zu jeder Sekunde entscheiden, können uns zu jeder Sekunde dagegen entscheiden.

Im Gespräch mit einem Freund sagte der französische Philosoph Jean-Paul Sartre einmal: „Liebe ist nichts großes, nichts allmächtiges oder wunderbares. Sie ist genau das, was wir aus ihr machen. Der Freund versuchte daraufhin ihn vom Gegenteil zu überzeugen, ihn mit weit ausholenden Gesten von der Größe der Liebe zu überzeugen - was ihm nicht gelang.

Ich glaube, er hat nicht wirklich zugehört.
Liebe ist genau das, was wir aus ihr machen.“

Samstag, 25. April 2009

Sein und Zeit :-)

Auch wenn die Zeit keine Konstante ist, so ist sie doch nicht umkehrbar, und im Zurückblicken kann man nichts verstehen, man kann nur etwas anderes verstehen.
Zuweilen versucht man, einen Zusammenhang zu konstruieren, Linien zu ziehen, um etwas neuerlich aufzurollen. Man findet Gründe für Entwicklungen, für Veränderungen, aber man ist jemand anderes, man ist nicht geblieben. Man steigt eben nie ein zweites Mal in den selben Fluss...

Und wenn schließlich doch alles folgerichtig erscheint, wenn doch alles irgendwie passt und Kausalitäten offenbar werden, sollte man nicht der Illusion erliegen, dass unsere Identität vor allem unser eigenes Projekt sei.
Auf der Suche nach Sinn erzählen wir uns unser Leben als Geschichte, als wohlgeformte Narration, als Fiktion. Wir schaffen Kohärenz, glätten die Widersprüche, entspannen den Widerstreit - und retten uns damit vor dem Eindruck, dass wir die Sache letztlich doch nicht in der Hand haben, dass wir anrennen gegen eine Wand, die höher ist, als unser Denken.

Für den Abend hat man Gewitter angesagt, doch ich sitze in der Sonne; drinnen köchelt das Chili, der Hund liegt faul auf der Seite und zieht die spitze Schnauze kraus. Ich versuche in Dir zu lesen, versuche zu verstehen - bis mir auffällt, dass ich nur ein einziges Wort zu denken brauche: Jetzt!

Mittwoch, 22. April 2009

Und manchmal sogar...

Es gibt keinen Grund wegzulaufen, man ist immer da, immer bei sich. Es gibt eine Person, die man nicht verlassen kann, die einem durch den Regen folgt, mit den selben schnodderigen Schritten, mit dem selben hochgeschlagenen Mantelkragen, mit den selben Augen.

Es gab mal eine Zeit, da sickerte Zufriedenheit ein, alles war von ihr bedeckt, nein, es war kein Glück, auch kein kleines, es war Zufriedenheit; das ist das Gegenteil von Abenteuer, es war in etwa so, als akzeptiere man endgültig, als arrangiere man sich, mit sich, der Welt, den anderen. Es ist betäubend auf diese Art zu sein, aber es lässt einen lächeln, sich zurücklehnen, es läßt einen in Ruhe. Sterben.

Im Moment bin ich nicht zufrieden. Und manchmal sogar glücklich.

Montag, 20. April 2009

Spuren

Auf dem hellen Teppich, an den weißen Wänden fängt sich kein Schatten, alles bleibt ruhig, und ich frage mich, ob man Jahre des Lebens ebenso aus Räumen tragen kann, wie Möbel, wie Gegenstände und Apparate. Vielleicht bleibt nur ein winziger Fleck auf der Auslegeware zurück und erzählt von einem umgekippten Weinglas, von einer Feier, bei der liebe Freunde in die Badewanne kotzten, um sich dann peinlich berührt zu verabschieden.
Man sollte seine Erinnerungen in die neue, unbelebte Wohnung übertragen, einen Weinfleck an ähnlicher Stelle machen, hier und dort mit einer Zigarette eine Anekdote in den Boden brennen, einen kindlichen Wunsch in die Holzverkleidung des Küchenschrankes ritzen und sich vormachen, man hätte eine Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt. Denn wie wohltuend ist es, nach zwanzig Jahren in der Oberfläche seines Schultisches noch immer die unauslöschlichen Initialen einer ersten Liebe zu erblicken.
Man sollte sich nicht von den Gegenständen anschweigen lassen.

Sonntag, 19. April 2009

Idealistisch-subjektivistischer Ansatz

"Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von allem, was dich umgibt, ab und in dein Inneres - ist die erste Forderung, welche die Philosophie an ihren Lehrling tut. Es ist von nichts, was außer dir ist, die Rede, sondern lediglich von dir selbst." - J. G. Fichte

Muss ich nochmal drüber nachdenken...
...oder Novalis befragen; der schreibt in den Blüthenstaub-Fragmenten:

"Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unseres Geistes kennen wir nicht. - Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft."

Donnerstag, 16. April 2009

Theoretisches Stadium

Die Balance meiner Tage ist manchmal ein wenig empfindlich. Darum bin ich dankbar dafür, dass der Hund ruhig schläft, im Traum seine Pfoten zappeln lässt und mir zeigt, dass die meisten Dinge ganz einfach nicht besonders wichtig sind.

Es geht darum, sich zu konzentrieren; darum, ein stilles, leidenschaftliches Leben zu führen.

Dann der Versuch: Einen Spielstein umstoßen auf der Oberfläche der Zeit. Ein wenig Geduld. Darauf achten, wie es funktionieren könnte. Mit den Händen in den Hosentaschen, mit ausgestreckten Fingern im Innenfutter der Hose.

Doch ein Ich, das sich selbst observiert, kann keine zuverlässigen Aussagen über den Gegenstand seiner Beobachtung machen. Die Naturwissenschaftler haben dies erst spät gefolgert, auch wenn ihr Gegenstand der Beobachtung ein anderer war. Kein Ich. Kein geschlossenes System.

Und der Hund hebt den Kopf, schaut mich ein wenig mitleidig an und sagt: „Na, das theoretische Stadium hast du aber noch lange nicht hinter dir...“

Ich und Welt


Es ist nicht gut. Es ist nicht gut, seine Nächte am Rande der Stadt allein in einem Garten zu verbringen und sich einzubilden, man röche den Wald von ferne.

Es ist nicht gut, die Große Fuge zu hören und sich dabei mit kaltem Weißwein zu betrinken, es ist nicht gut, sich allein zu betrinken, sich zu versichern, dass man sich dabei wohl fühle. Die Große Fuge, ehemals der letzte Satz des Streichquartetts Op. 130, nun allein, hintenangestellt, groß und mächtig, schneidend, sperrig.

Im Haus ist es zu warm, darum sitze ich draußen. Dort ist es still, darum höre ich die Fuge. Ich habe Durst, darum trinke ich den Wein.

Ich bleibe zurück auf dem groben Holzstuhl, dem ich schon fast meinen eigenen Namen gebe, dem Stuhl aus meiner Küche, dem Stuhl, den ich überall mit hinnehme, damit ich einen Platz habe in der Welt. Das Dunkel senkt sich, durch die Büsche kann ich Lichter erspähen, Lichter von Menschen.

Doch kann man ihnen ferner sein, als beim Hören dieser Musik?!

Irgendwer schrieb, in der Großen Fuge sei "der Gegensatz zwischen Ich und Welt überwunden". Für mich ist sie das genaue Gegenteil: der Musik gewordene Gegensatz zwischen Ich und Welt.

Mittwoch, 15. April 2009

Musste auch mal wieder gesagt werden!


»Je nun, eine gute Verwirrung ist mehr wert,
als eine schlechte Ordnung.«
Ludwig Tieck

Dienstag, 14. April 2009

10 Ampere und Licht aus!

In meinem Wagen brennt dauernd eine Sicherung durch. Die Beleuchtung fällt plötzlich aus. Ich bin mittlerweile geübt im Austauschen. Es dauert nur eine halbe Sekunde, selbst in Fahrt und bei völliger Dunkelheit. Es ärgert mich nicht mehr, ich habe mich darauf eingestellt und die Bewegungen meiner Hand heimlich trainiert – in etwa so wie man das Montieren einer Waffe mit verbundenen Augen trainiert.

Diese ganze Kabbala-Sefirot-Emanations-Sprachschöpfungs-Idee gefällt mir. Erst das Wort und dessen Artikulation erschaffen das Ding, das sich denken lässt, vorher war alles nur ein farbloser Klecks. Man sagt Sicherung, und sie existiert, sie springt heraus, aber das ändert nichts an ihrer Existenz, nur an ihrem Zustand. Allein der Strom fließt nicht mehr ungehindert. Die Sicherungen für die Beleuchtung sind immer aus rotem Plastik, darin ein dünner Metallfaden. Last: zehn Ampere. Eine willkürliche Maßeinheit, die auf einem abstrusen Versuchsaufbau und der zu messenden Kraft von zwei mal zehn hoch minus sieben Newton besteht. Das ist sehr ernst!

Wenn Wittgenstein behauptet, dass die Krux der Philosophie eine sprachliche, nämlich die Problematik der Definition sei, dann hat er Recht. Alle Philosophie muss Sprachphilosophie sein, weil wir nicht verstehen, nicht verstehen können. Weil es kein Wort für Einsamkeit gibt, außer eben „Einsamkeit“, was nichts besagt. Es ist ein Spiel; das Regelwerk ist weggeschlossen. Man kann nicht auf einer Leiter über die Leiter hinaussteigen, man muss fliegen, fliehen.

Was ich damit eigentlich sagen will?
Dass ich diese Welt ebenso wenig verstehe wie mich und dich - und dass man Rotkehlchen schlecht in Gefangenschaft aufziehen kann. Sie brauchen den ganzen Himmel.

Donnerstag, 2. April 2009

De fait je suis un amateur de la vie

Dis-moi aussi c'est quand
Que tu reviens ?
Moi je ne vois qu'un amateur de la vie
Un amateur qui recommence
Avec mes amours, mes amitiés
Tout ce qu'il faut pour être entier
Je fais je fais
J'essaie j'essaie
De fait je suis un amateur de la vie
(Tarmac)

Dienstag, 17. März 2009

Heine: Paderborn überzeugt!

Paderborn ist schön!
So schön, dass auch der große Heine nicht umhin konnte, es zu bewundern: Nabel der Welt - der Ort, in dem Karl der Große 777 seine Notdurft verrichtete und würdevoll dabei aussah, Rückzugsort retardierter Poeten, oh' du Rand an meinem schimmeligen Brot - Ja, Paderborn!
Ach, und selbst der Marquis de Sade, Meister klinisch-pathologischer Vergnügungen, hat hier mal genächtigt als - holterdipolter - seine Kutsche mal nicht mehr wollte... aber überlassen wir Heine das Wort, er wird's ja nicht so bös' gemeint haben...


Heine: Gespräch auf der Paderborner Heide...

Hörst du nicht die fernen Töne,
Wie von Brummbaß und von Geigen?
Dorten tanzt wohl manche Schöne
Den geflügelt leichten Reigen.

«Ei, mein Freund, das nenn ich irren,
Von den Geigen hör ich keine,
Nur die Ferklein hör ich quirren,
Grunzen nur hör ich die Schweine.»

Hörst du nicht das Waldhorn blasen?
Jäger sich des Weidwerks freuen,
Fromme Lämmer seh ich grasen,
Schäfer spielen auf Schalmeien.

«Ei, mein Freund, was du vernommen,
Ist kein Waldhorn, noch Schalmeie;
Nur den Sauhirt seh ich kommen,
Heimwärts treibt er seine Säue.»

Hörst du nicht das ferne Singen,
Wie von süßen Wettgesängen?
Englein schlagen mit den Schwingen
Lauten Beifall solchen Klängen.

«Ei, was dort so hübsch geklungen,
Ist kein Wettgesang, mein Lieber!
Singend treiben Gänsejungen
Ihre Gänselein vorüber.»

Hörst du nicht die Glocken läuten,
Wunderlieblich, wunderhelle?
Fromme Kirchengänger schreiten
Andachtsvoll zur Dorfkapelle.

«Ei, mein Freund, das sind die Schellen
Von den Ochsen, von den Kühen,
Die nach ihren dunkeln Ställen
Mit gesenktem Kopfe ziehen.»

Siehst du nicht den Schleier wehen?
Siehst du nicht das leise Nicken?
Dort seh ich die Liebste stehen,
Feuchte Wehmut in den Blicken.

«Ei, mein Freund, dort seh ich nicken
Nur das Waldweib, nur die Lise;
Blaß und hager an den Krücken
Hinkt sie weiter nach der Wiese.»

Nun, mein Freund, so magst du lachen
Über des Phantasten Frage!
Wirst du auch zur Täuschung machen,
Was ich fest im Busen trage?

Mittwoch, 25. Februar 2009

Wie immer: Joachim Ringelnatz hat Recht!

Kinder, ihr müßt euch mehr zutrauen!
Ihr laßt euch von Erwachsenen belügen
Und schlagen. – Denkt mal:
Fünf Kinder genügen,
Um eine Großmama zu verhauen.

(Ringelnatz: Kinder-Verwirr-Buch)

Samstag, 21. Februar 2009

"Leben, das Sinn hätte, fragte nicht danach."


Seit geraumer Zeit hab ich nur noch DVB-T, was in dieser Region bedeutet: 13 Sender, alle öffentlich-rechtlich. Zuerst hat es sich noch ganz gut angefühlt, das Zappen ohne die ganze Fick-Werbung des nachts, ohne die bleichen Nackten und die runzligen Alten - alle mit 0190er Nummer.

Doch wenn sich der Nebel legt und die heere Kultur sich Bahn bricht - die 3. Wiederholung von Guido Knopps "Best of Holocaust" oder "Des Führers Schäferhund" in den frühen Morgenstunden, die Daueranwesenheit von Carmen Nebel, die behinderte Kinder für die Spendenmarathon-Sendung einpeitscht, die große Pilcher-Reihe gefolgt von der Inga-Lindström-Reihe im ZDF (in Gedanken unbedingt wie Dieter Thomas Heck betonen), was bleibt dann?

Ja, genau, das Vemissen der Sendungen, die tatsächich Statements über die Denkungsart der (westlichen) Welt abgeben: Model und Freak, Germany's next Top Model, DSDS usw.
Und was ich ganz dringend möchte: Adorno aus seinem cryogenischen Kälteschlaf rütteln und ihn zwingen, sich das alles anzusehen, zusammen mit Michel Houellebecq - die sollen das dann bitte Waldorf-und-Statler-mäßig kommentieren...

Oft liegt ja im Zwiespalt zwischen Unterhaltung und Hirnspaltung der Reiz. Und mittlerweile bin ich mir zumindest sicher, dass der Untergang unterhaltsam sein wird - das werden wir dann auch bitter nötig haben!

Oder in Blaise Pascals Worten bzw. Pensées:

"Da die Menschen kein Heilmittel gegen den Tod, das Elend, die Unwissenheit finden konnten, sind sie, um sich glücklich zu machen, darauf verfallen, nicht daran zu denken. [...] Das Elend des menschlichen Lebens hat den Grund zu all dem gelegt: da sie das erkannt haben, haben sie die Zerstreuung gewählt."

- so, please, let me entertain you!

Mittwoch, 18. Februar 2009

Crossdressing

Es ist soweit: Crossdressing ist in Bayern, genauer in der CSU, angekommen - hier Günther Beckstein (im Dirndl) und seine Frau - fesch! Wirklich! Vielleicht sogar ein Ansatz für neue Geschlechter-identitäten im Hause Beckstein. Und warum auch nicht?
Ob es sich hier um eine Transgender-Tendenz der Becksteins handelt, ob bloße Kostümierung oder ob hier eine politische oder soziale Aussage getroffen werden soll? - wir werden es hoffentlich noch erfahren!

Donnerstag, 5. Februar 2009

Disneyworld

Disneyworld Europe liegt bei Paris und ich kann mir keinen besseren Grund vorstellen, in Richtung der französischen Hauptstadt aufzubrechen. Auf Fotos sieht man verängstigte Kinder, die von riesigen Enten und orangen Hunden umarmt werden, die allesamt ein Messer unterm vollgeschwitzen Polyacrylpelz tragen – oder ist das wieder nur ein Wunschgedanke?
Freiheit, das ist nichts lustiges. Ja, Sartre, was haben wir gelacht, sogar mit beiden Arschbacken. Immer gleich Denken müssen. Und dann auch noch verantwortlich sein. Dann doch besser Disneyland: alles so niedlich hier!

Soviel für heute - Guten Abend ;-)

d'accord

"ma seule motivation
devant les oui d'usage
sera l'usage du non"

Daran, Identité

Dienstag, 3. Februar 2009

Wagen

Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.Seneca

Ja, genauso ist das. Die Philosophie der Lebenskunst weiß Bescheid, aber das Leben macht was anderes. Und ich wage dies nicht und wage jenes nicht. Und überhaupt: was weiß Seneca eigentlich von mir, der alte Sack! - Tja, stellt sich heraus, dass er zuviel weiß und Recht hat.
Und ich? Ich wage es nicht!

Mal unter uns Betschwestern: früher ist man mit nem Steckschuss doch noch schwimmen gegangen und hat sich nicht durch eine kleine Gewehrsalve vom Eiswagen verjagen lassen. Was ist denn da schief gegangen? Ich meine: warum bewaffne ich mich nicht und entvölkere diesen Teil der Stadt? Ist doch eh nur Nekropolis. Das würde ja überhaupt niemandem auffallen, wenn 3 Leute weniger in den Mediamarkt schleichen würden, oder?

Genuss ist die Abwesenheit von Schmerz - so paraphrasiere ich mal den alten Seneca. Schön, wenn man nichts mehr merkt! Ne, heute ist nicht mein Tag. Ja, vielleicht sollte ich nochmal PLATTFORM von Houellebecq lesen - das ist wirklich witzig! AUSWEITUNG DER KAMPFZONE ist mir heute eindeutig zu nah dran, das kann ich mir nicht geben.

Zeit für etwas PETER LICHT, aus: Räume räumen

"Der Raum ist voll, doch keiner ist da
Das hier erreicht mich
Erreicht mich nicht

So viele Sekunden hat mein Tag nicht
Die ich bräuchte, um mein 'nein' zu sagen
Meine neine.. nein, nein, nein
Meine neine.. nein, nein

Nein, nein, nein
Nein, nein
Nein

Hier muss ich nicht sein, hier möcht ich nicht mal fehlen"

sagt's und ward nicht mehr gesehen...

Montag, 26. Januar 2009

Schulkameraden

Hitler und Wittgenstein, beide 1889 geboren, beide Schüler der Linzer Oberrealschule (hier ein Foto der Jahrgänge 1903/04).
Haben sie miteinander gesprochen, argumentiert, sich auf dem Schulhof geprügelt?
Beiden haftet, zumindest wenn man Aussagen der Biografen glauben darf, eine latente, unterdrückte Homosexualität an. Schnell sind noch die absurdesten Situationen denkbar.
Und wie kann es sein, dass einer der größten Denker und einer der größten Verbrecher sich von Herkunft und Umfeld so ähnlich waren? "Worüber man nicht reden kann, davon muss man schweigen.", sagt Wittgenstein. Und Hitler? Der arme Bub?! Stellen wir uns das übliche Zeitmaschinen-Szenario vor: wir beobachten die beiden, sie tauschen Murmeln, reden, schweigen - oder haben einfach gar nichts miteinander zu tun. Wittgenstein stellt Hitler ein Bein, Hitler ist sauer... Oder worüber streiten sich solche Menschen als Kinder?