Sonntag, 10. Mai 2009

Nicht-Verstehen und Geheimnis

Geht es der Romantik vielleicht allein um das Wieder-Einholen, das narrative "Fingieren" und wieder In-Besitz-Nehmen der Kindheit? Ist das ganze Mittelalter als idealisierte Vorzeit, als goldenes Zeitalter, nicht einfach Abstraktion der Kindheit, als Drachen und Ritter noch denkbar, vielleicht sogar sinnlich erfahrbar waren? Ist Novalis’ ‚Herzreligion’ nicht der – auf hohem theoretischen Niveau revitalisierte – naive Kinderglaube, der alles wieder heil macht? Und Eichendorff: Geht es ihm mit seiner idealisierten Natur, seinem 'Waldesrauschen' voller pantheistischer Allusionen, letztlich nicht vor allem darum, den wunderbaren Möglichkeitsraum der Kindheit wieder zu erwecken – und das Kind, anknüpfend an Herder und Rousseau, als den „natürlichen“ Menschen zu begreifen?

Bleibt noch E.T.A. Hoffmann: Das Monster unterm Bett, der teuflische Hausgast – sind das nicht kindliche Angstfantasien? Dunkle Träume des kleinen Ernst, weswegen er seine Füße flugs unter die Bettdecke zieht, wenn die Mutter des Nacht das Licht löscht?


Ist die Poetologie der Vermischung und Potenzierung des ästhetischen Raumes durch die Sprache nicht das kindliche Fantasieren, das wilde Denken, das Aufheben der Schranken, die Basis der kategorialen Welt der Erwachsenen sind?

Ist dann die Verzauberung der Welt nicht allein das vom kindlichen Nicht-Verstehen produzierte Geheimnis? Sehnen wir uns nicht alle nach einer Welt, die nicht vollständig logisierbar, nicht durchweg intelligibel ist, und die uns dennoch nichts anhaben kann?

"Aber", sagt da plötzlich jemand, "so ist die Kindheit doch gar nicht".

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich bin mir nicht sicher, ob es notwendigerweise schlecht ist, wenn es Dinge gibt, die man idealisiert. Denn nur, wer ein Idealbild im Kopf hat, kann sich und sein Handeln an diesem Idealbild messen und abarbeiten.
Hat man kein Ideal, so gibt es meiner Meinung nach auch keinen Grund, besser, anders zu werden.
Ob nun das Mittelalter als Ideal einer glücklicheren Zeit gereicht, halte ich allerdings auch eher für fragwürdig.
Ob das Kind nun "natürlicher Mensch" ist, wage ich ebenfalls stark zu bezweifeln. Ich sehe jedoch die Gefahr, dass der Mensch dann, wenn er kein Ideal mehr gelten lässt, sich selbst - oder aber die Zeit in der lebt - idealisiert.
Und das halte ich jedenfalls für genauso gefährlich, wie die Idealisierung dunkler Vorzeit.

Wobei festzuhalten bleibt, dass unser medial geprägtes, düsteres Mittelalterbild, durchaus nicht der historischen Realität entsprechen muss.
Auch hier gilt es, kritisch zu sein, wie man sich eben auch der Wirklichkeit gegenüber kritisch verhalten sollte.

Bleibt nur die relevante Frage, ob wir heute überhaupt noch Ideale gelten lassen. "Aber", sagte da plötzlich jemand, "so ist die Welt doch gar nicht".

Genau. Aber wie ist sie dann? Und wie sollte sie werden. Dass sie wird, ist nämlich ganz sicher.