Donnerstag, 29. September 2011

Systemzeit

Ich hätte in Hotels gelebt
mit schweren englischen Vorhängen
und hohen Fenstern
jede Nacht das Zimmer gewechselt
das elektrische Licht gelöscht
die Jugendstilmöbel hätten ausgesehen
wie damals in Bruxelles
vor der Flut

Und Maldoror, mein Liebster,
hätte die Wunden geöffnet,
um die Sterbenden zu kosen

Doch jetzt ist jetzt:
An einem Tag der Schatten
Bist du frei?
Im letzten Bogenstrich der Fuge
wo das Interstellare ausfranst
such ich Freiwillige für den Galgen
Die Wellen schlagen ans Nachtschiff
Hammerschläge der Armut

Es gibt kein Vermächtnis
und aus Glas ist die Hoffnung der Kinder

Montag, 26. September 2011

Richards Schnäuzer

Nacht. Zeit, sich nach Babylon einzuschiffen. Detective Smith Smith kämpft gegen die Roboterarmee. Er träumt kämpfend und kämpft träumend - der Grund, warum er nie ein besonders vielversprechender Privatdetektiv war.
Das Licht der Straßenlaternen reißt Halbkreise aus dem Dunkel, der Typ im Leichenschauhaus kocht den scheußlichsten Kaffee aller Zeiten, die blonde Dame trinkt ihr Bier ohne Maß.
Als C. Card bin ich in den Straßen von San Francisco unterwegs, während im Redwood Creek die Zeit innehält, kurz aufatmet und sich im Rauschen der Bäume fortsetzt.
Es ist Zeit, in die Bibliothek zu gehen, in der all die Bücher stehen, die niemals gedruckt wurden. Es ist Zeit das Schlüsselwerk über 'Kakteenzucht bei Mondenschein' zu lesen, zwischen den Regalen entlang zu schlendern, den Finger über die Buchrücken streichen zu lassen, die Jahresringe der Mammutbäume ungezählt zu bestaunen.
Jimmy Pygmalion verfolgt die Dame, die er sich selbst basteln wird, bricolage heißt das Konzept, und wildes Denken - bevor die Zusammenhänge durch die idiotische Kausalität erkalten. Die Kyniker halten uns die Wahrheit vor Augen.

Am Ende aller Zeit zählt allein: Warst du rechtzeitig Forellen fischen? Oder hast du wieder nur auf dem Balkon rumgehockt und aus Maisblättern gedrehte Zigaretten geraucht?

Samstag, 24. September 2011

Montag, 19. September 2011

Als Jean-Luc Godard den Jump Cut erfand...

...also etwa 1959 oder 1960, was weiß ich wann er À bout de souffle geschnitten hat, hab ich noch nicht existiert und rechts war noch rechts und links noch links. Kapitalismus war noch kein lustiges Wort, keiner hat dazu gelacht und die fatale Wippe aus Markt und Macht und Staat war vielleicht noch etwas beweglicher. Afrika war nach der Abschüttlung diverser Kolonialmächte berechtigt, ein wenig Hoffnung zu entwickeln und JFK nahm die Welt mit seinem Zahnpastalächeln für die USA ein, solange man sich nicht zu sehr bemühte, hinter die Fassade zu schauen.
Am 19. September dachte ein gewisser Markus Hembswegger über den Zustand der Welt nach - und kam zu keinem konkreten Ergebnis. Außer vielleicht: 'es gibt stündlich weniger Dialektsprecher' und 'sieben mal sieben ist deutlich mehr als 45'.
Adorno notierte sich in sein berühmtes kleines Büchlein den weisen Satz 'Was nützt einem Gesundheit, wenn man sonst ein Idiot ist', lauschte auf Chubby Checkers "The Twist" im Radio (was sicherlich nicht sein eigenes war, verfluchter Verblendungszusammenhang der Medien). Marcuse träumte schon davon, wie schön das Fernsehen uns alle beruhigen könnte in Zeiten gärender Revolte.
Das 1947 entwickelte AK47 wurde überarbeitet und als "Awtomat Kalaschnikowa Modernizirowannij" schon wieder ein Kassenschlager, der weltweit Frieden stiftete.
Niemand (=Odysseus) hatte den Plan, eine Mauer zu errichten, niemand sah Engel, niemand wachte. 
Und heute, in der Ultramoderne, bleibt ein verhaltenes Unbehagen, dass man irgendwann den Weg hätte aufhalten können, den die westlichen Gesellschaften einschlagen - und der uns am Ende alle alle glücklich und zufrieden machen wird - wenn wir nur genug Soma bekommen...oder Prozac...oder Fluxetin...oder Lexotanil...oder oder oder...

Die Gegenwart berechtigt uns nicht zur Hoffnung, schon gar nicht zur Hoffnung auf eine Lösung, die wir nicht selber sind.
Doch alles, was ist, fordert uns auf zum Widerstand!

Samstag, 17. September 2011

When the Sleeper Wakes...


Something is Rotten in the State of Denmark.
 - Shakespeare, Hamlet -

Fiat Lux
Genesis 1,3 - (& Léo Malet)

Incoming!!!
Andrew Eldritch -


P.S. Hommingberger Gepardenforelle

Donnerstag, 15. September 2011

Tomiloffs Plan

Sieben Jahre, so erzählt man sich, habe Tomiloff an seinem Plan zur Abschaffung des Dunkels gearbeitet. Er sei zunächst, so sagt man, missverstanden worden – man habe ihm Taschenlampen, Glühbirnen und Kerzen angeboten. Es sei ihm nicht gelungen, das Dunkel zu definieren. 
In einer weiteren Phase verstand man sein Vorhaben metaphorisch. Man vermutete, er wolle sprichwörtlich „Licht ins Dunkel bringen“, nannte ihn einen verspäteten Aufklärer oder rückwärtsgewandten Propheten. Tomiloffs Gesicht, so wird berichtet, ließ in dieser Zeit keine Regung erkennen, eine gewisse Unbeirrbarkeit und Entschlossenheit hätte man jedoch nicht leugnen können.
Tomiloff ließ sich, soviel ist nun bekannt, nicht beirren. Im frühen Januar des vierten Jahres, so hört man sagen, habe er eine erste Apparatur entwickelt, um das Dunkel im Licht des Tages sichtbar zu machen. Gleichzeitig, so weiß man jetzt, entwickelte er eine Maschine, die das Dunkel materiell erfassbar und komprimierbar machte. Aus seinen Aufzeichnungen geht hervor, dass in einer ersten Phase bis zu 4 Kubikmeter des Dunkels auf die Größe eines etwa 4x4x4 cm großen Quaders geschrumpft werden konnten.
Viele verbargen vieles im Dunkel, das Tomiloff sich anschickte zu minimieren. Es heißt, spätestens an diesem Punkt sei sein Plan auf Widerstand gestoßen.
Vor etwa einem Jahr, dies gilt nun als gesichert, gelang es Tomiloff den Rauminhalt des Dunkels einer ansehnlichen Kathedrale (als Beispiele werden Amiens oder Chartres genannt) auf ein etwa spielwürfelgroßes pechschwarzes Objekt zu komprimieren. 
Heute sieht man allerorten Leute, die das Dunkel preisen, während Tomiloff an dessen Beseitigung arbeitet. 
Vieles wird offenbar werden. Und nur weniges davon ist gut. 
Vieles was im Dunkel noch erträglich war, wird seine hässliche Fratze im Lichte zeigen. Darum, sagt Tomiloff, ging es bei der Entwicklung der Apparatur. Um die Abschaffung des Dunkels.

Mittwoch, 14. September 2011

Gegen den Strich

Nachts, wenn im Dorfe alles schläft, brennt noch das Licht im Chateau de Blog. Man sieht livrierte Diener lautlos gleiten und die Liqueurorgel befüllen, die safrangelben Balsam auf die Zunge träufelt. Über den schweren roten Teppich kriecht unterdessen eine mächtige vergoldete und mit Edelsteinen besetzte Schildkröte. Auf den Wegen im Park wird von dienstbeflissenen Lakaien Kohlepulver ausgestreut und die Brunnen werden mit schwarzer Tinte gefüllt, während der Herr im violetten Samtanzug die Hand um den Knauf des silbernen Stocks schließt und den Blick über das Anwesen schweifen lässt, in Gedanken an die Passagen bei Les Halles, die er als junger Mann durchstreifte.
Die schwarzen Kerzen flackern vom bald schon müden Wind und tief unten in den Kellern ist man damit beschäftigt, die Dunkelheit zu verwalten. Aus den Gewölben dringt Musik an die Ohren des Herrn, der kurz innehält im Gedanken an die Nichtigkeit und lächelnd flüstert:

"I tried to tell her
about Marx and Engels
God and Angels
I don't really know what for
But she looked good in ribbons..."

Sonntag, 11. September 2011

Wittgensteins Leiter

"Meine Sätze erläutern dadurch, dass sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist. (Er muss sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)
Er muss diese Sätze überwinden, dann sieht er die Welt richtig."

L.W., Tractatus

Vorschlag zum Tätscheln mentaler Prozesse

Die tektonischen Platten meines Bewusstseins
sind quasi Pizzabäcker in der Nacht
Schließlich bin ich es, der gesehen hat,
wie Gott barfüßig aus einem roten Nissan Micra stieg

Meine Ausweisnummer ergibt rückwärts gelesen
die Zahlensequenz ab der 132. Stelle von Pi
Keine Sequenz wiederholt sich  in Pi
Die Chassidim können aus Pi den Namen Gottes errechnen
Aber nur ich weiß, welchen Wagen er fährt

Und das steht nicht in der Kabbala, alle Achtung, Chapeau

Die Rahmenbedingungen des Lebens sind das erste Problem
Und dann kommt die Freiheit und man meint man könnte aber kann nicht oder auch doch

Als philosophisches Experiment No. 1 schlage ich vor
Ein Kleidungsstück tragen, was einem nicht gehört

Als philosophisches Experiment No. 2 schlage ich vor
Etwas essen, dessen Namen man nicht kennt

Als philosophisches Experiment No. 3 schlage ich vor
Ein unbekanntes Tier streicheln

Als philosophisches Experiment No. 4 schlage ich vor
Einer Gewohnheit aus dem Weg gehen

Als philosophisches Experiment No. 5 schlage ich vor
Gleichzeitig trinken und pinkeln

Als philosophisches Experiment No. 6 schlage ich vor
An der Burger King-Theke einen McRib bestellen
(unbedingt insistieren)

Als philosophisches Experiment No. 7 schlage ich vor
Sich eine Sache überlegen, die man in der Welt unbedingt ändern müsste, und sofort (wenn auch nur in kleinem Rahmen) etwas dagegen unternehmen

Als philosophisches Experiment No. 8 schlage ich vor
Auf dem nächsten Tierfriedhof vor einem Grab weinen 

Als philosophisches Experiment No. 9 schlage ich vor
Gläubige: 2 Minuten blasphemisch fluchen, Ungläubige: 2 Minuten ehrlich beten

Als philosophisches Experiment No. 10 schlage ich vor
Eine Mahlzeit ausfallen lassen und sich bei einem großen Glas Wasser Gedanken machen
(dazu bitte auch das iPhone weglegen, das stört!) 

Freitag, 9. September 2011

Islington, September 9th

Zwischen den Buchstaben die Hundepfoten, die trippeln
wo wir wie Eichhörnchenjunge im Hinterzimmer sitzen
und drum würfeln, wer nach draußen muss, um Holz zu holen
und die Nacht fällt
und fällt
einer legt Peter Licht auf und es geht sowas von los
wir fahren den Wagen mitternachts in den Baggersee
wir schwimmen und verschwinden
bis wir finden, was wir nicht gesucht haben
und irgendeiner sieht den weißen Wal von Ferne blasen
und alle wollen immer mehr, aber mehr ist nicht gut
jetzt heißt es Wirtschaftsliberalismus, Freihandelszone undsoweiter
bis dann einer Kaffee macht und alle sitzen ganz betreten da
und schauen in die Ferne, als wär der Horizont bedruckt
mit irgendwas nur mittelmäßig Niederschmetterndem
wie z.B.
weniger ist die Lösung
die Erlösung
bis ich dann sehe, dass er es wieder nicht lassen kann
und Cut-ups macht, die auf den Tischen die Buchstaben mischen
jetzt mal konkret
ihr habt doch verstanden, was ich meine
das ist direkt so, als würd' sich ein weißer Hase mit einem Schraubenschlüssel in einen Kreis setzen und behaupten, er hätte von nichts gewusst

ich hatte mal einen Hasen, der hieß Ahab
und so hieß er bestimmt nicht, weil er ein Holzbein hatte
ne meine Lieben
so hieß er, weil er die Harpune küsste,
die hier in meinen Händen ruht


http://www.youtube.com/watch?v=d3WRxgWUVAA

Donnerstag, 8. September 2011

The Turn of the Screw

An der Wand neben dem Fenster hängt ein weißes Plastikschild: „Das Öffnen der Fenster ist aus Gründen der Raumklimaregulierung verboten. Der Rektor“
Es ist geschickt angebracht, ich habe es noch nie entdeckt, erst jetzt, wo meine Hand sich anschickt, den messingfarbenen Griff des Fensters zu berühren, fällt mein Blick darauf.

Mittwoch, 7. September 2011

Make Love, not War !


There is no path to peace. Peace is the path. [...]
I cannot teach you violence, as I do not myself believe in it. I can only teach you not to bow your heads before any one even at the cost of your life.



Mahatma Ghandi

Dienstag, 6. September 2011

Der kommende Aufstand

"Es gibt keinen Grund mehr zu warten – auf eine Aufheiterung, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht, was kommt, sondern was da ist. Wir verorten uns bereits jetzt in der Bewegung des Zusammenbruchs einer Zivilisation. Dort ist es, wo man Partei ergreifen muss.

Nicht mehr zu warten heißt, auf die eine oder andere Weise in die aufständische Logik einzutreten. 

Es bedeutet, aufs Neue das leicht erschreckte Zittern in der Stimme unserer Regierenden zu hören, das sie nie verlässt. [...] [J]eder Akt des Regierens ist nichts als die Weise, die Kontrolle über die Bevölkerung nicht zu verlieren.
Wir gehen aus von einem Punkt der extremen Isolation, der extremen Ohnmacht. Alles ist aufzubauen im aufständischen Prozess. 

Nichts scheint unwahrscheinlicher als ein Aufstand, aber nichts ist notwendiger."

Comité invisible / Unsichtbares Komitee:
L'insurrection qui vient / Der kommende Aufstand
2007 / 2009



Zur Erläuterung: Der kommende Aufstand ist ein politischer Essay, der in Frankreich zum Bestseller wurde. Die Analyse der politischen Situation wird selbst in der bürgerlichen Presse überraschenderweise gelobt, kritisch sind selbstverständlich die vorgeschlagenen 'Lösungen' zu sehen. 

"Die Autoren sind ein namenloses Kollektiv, was nicht verhindert hat, dass das Buch glänzend geschrieben ist. Das schmale Werk, das im Original den Titel „L'insurrection qui vient“ heißt, könnte das wichtigste linke Theoriebuch unserer Zeit werden." (FAZ, 08.11.2010)


Montag, 5. September 2011

Uhrwerk Banane

"Ich habe keine Ahnung wie das Böse in die Welt kam", beteuerte der schmächtige Filialleiter mit der Kinderuhr. "Wirklich, er weiß es nicht!", flehte die sonst so diplomatische Assistentin.
"Sie haben nicht ein malenki bisschen Ahnung, meine lieben Droogs", wandte sich Alex mit tiefbetrübter Miene an die Jungs, die Hand auf den Stock gestützt, das Auge blitzend unter der schwarzen Melone.
"Sollen sie doch mal ein urs Denki Denki machen bis der Gulliver brummt", grinste Pete, auf seiner Lippe noch eine Spur Moloko Plus aus der Korova Milchbar.
"Aber", flüsterte Alex verschwörerisch, "was ist, wenn die beiden" - er lupfte kurz seine Kopfbedeckung - "maltschik sind im Gulliver? Wenn die Rasoodocks es nicht mehr tun?" Abwesend betrachtete er für einen Augenblick einen winzigen Blutfleck im Stoff seiner weißen Hose. "Sollten wir ihnen dann nicht mit dem guten alten Ludwig van den Weg weisen? Damit sie lernen, zu sluschen und nicht mehr ohne Grund so puchlig glasen." Selbstvergessen dirigierte Alex - poco sostenuto - den Beginn der 7. Sinfonie in die kühle Abendluft. Seine Droogs fassten die Stöcke fester; die Gesichter voller Vorfreude auf die Versprechungen der nahen Zukunft riefen sie "Righty right!"