Samstag, 28. April 2012

051610

Es gibt Menschen, die sterben beim Ablesen des Stromzählers, andere verschwinden beim Zigaretten holen auf Nimmerwiedersehen, Dritte verlieren sich im Schlaf, Vierte gehen in die Natur und sprechen mit Insekten und wieder andere kaufen sich homöopathische Mittel und kleine Buddhafiguren, denen sie die Füße mit Nagellack anmalen.
Ich hab aber auch schon von welchen gehört, die sich beim Recken nach einem Buch ganz oben im Regal in Giraffen verwandelt haben und dann gar nicht mehr lesen konnten. Für andere wieder ist jeder Tag wie die Ardennenschlacht und manche glauben, sie hätten nichts zu verlieren, riskieren aber trotzdem nie etwas.
Tatsächlich ist dies ein komischer Planet, der sich so unachtsam im Dunkel dreht, ein krummes, schiefes Ding, ins Nichts gehängt.

Während ich das hier schreibe, sitzt eine mittelgroße Hündin auf meinem Schoß, versperrt mir halb die Sicht auf den Monitor, schaut aus dem Fenster, sieht den vorbeirasenden Polizeifahrzeugen hinterher und gähnt.
"Wußtest du", fragt sie, "daß neugeborene Giraffen bereits nach etwa 45 Minuten laufen können?"
"Nein", sage ich, "Und wie lange brauchen Schakale?"
"Das", sagt sie und wiegt bedächtig den Kopf, "fragst du mal lieber die Araber."

Dienstag, 17. April 2012

Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren! oder: Mein Sonntag auf der Zeil

Hippe Youngster mit Cowboyhüten und kaum was an tickern Handyromane in ihre Hello-Kitty-beklebten Geräte im Starbucks. Kniende Frauen im Schleier flehen demütig um ein paar Cents. Scharen von Japanern lichten Wurststände ab. Gut gelaunte Salafisten verteilen gratis golden glitzernde Büchlein. Ein völlig verdreckter Einbeiniger rutscht vorm H&M auf dem Boden herum und klappert verzweifelt mit ein paar Münzen in seinem verknickten Tchibo-Becher. Künstler bauen gigantische rauchende Eierskulpturen aus Holzstreben auf und spielen dazu bedrohliche Klänge ab. Vorm Burgerking erbricht sich ein weißhaariger alter Mann mit Basecap. Ein Typ mit Teufelshörnern sprüht "jede versuchung ist das nachgeben wert" an die Wände des U-Bahnschachts. In den Fenstern eines riesigen Juweliergeschäfts liegen ziegenküttelförmige Goldnuggets. Die Leute von Occupy Frankfurt schreien sich hysterisch im Zeltlager vor der EZB an.
Und am Ende kommen Nazis, löffeln genüsslich ihren Pfirsichjoghurt und vergnügen sich in den riesigen Kaufhäusern. Da hängen sie Plakate auf, auf denen Sinniges steht, wie z.B.: „Jugend dient dem Führer. Alle Zehnjährigen in die HJ!“ – Na, Prost Mahlzeit! – Komischerweise war ‚Kopf in den Sand stecken‘ noch nie Teil des Vermummungsverbots.

Freitag, 6. April 2012

Gerettet

Nachts in der Bibliothek
Sitzen Wölfe in den Gängen
Und ich gehe weiter nach hinten
In den Grenzbereich schwindenden Lichts
Wer, sagt einer der Wölfe,
Könnte schon gegen den Tod anschreiben?!
Wir, sagt ein anderer,
Sind der schwarze Limes!

Als ich eben zitternd verzagen will, kommt von hinten mit Schmackes etwas angerauscht und ruft „Keine Angst! Ich bin dein Brillenflughund!“ -- Und ich sage: "Wusste gar nicht, dass es sowas wie Brillenflughunde überhaupt gibt." -- Er darauf und im Vorbeiflug: "Pteropus conspicillatus, genau genommen!" -- Und die Wölfe: "Jetzt hört mal auf mit dem Gelaber, ihr versaut uns die ganze pathetische Jenseitsstimmung."

"Eben!", sagt der Brillenflughund, fliegt eine liegende Acht in die Luft – und die Macht des Todes ist gebrochen. -- "Dann", sage ich, "können wir ja jetzt endlich ´nen Kaffee trinken gehen."
"Auf ein paar Fruchtsamen und einen Fingerhut Wasser würde ich schon mitkommen.", sagt der Brillenflughund, setzt sich auf meine Schulter und wir gehen. Die verdutzen Wölfe schauen uns nach.