Dienstag, 25. Februar 2014

Lappen schneiden

Wir hatten die ganzen Dystopien gelesen und sahen, dass es nun bald soweit war, was allerdings mehr mit Castings, Apps und Lifestyle zu tun hat, als man sich das damals so vorgestellt hatte. Wir wünschten uns ja Reisepässe voller biometrischer Daten, geschenkte Betriebssysteme, Birnen aus China, nahezu tierversuchsfreie Crèmes, die ganzen DM-Hauls und Follow-me-arounds. Wir wollten das alles auf Youtube hochladen, die ganzen Selfies machen, Models sein auf TFP-Basis, in Feldern posieren, uns den Arsch in den ganzen dünnen Kleidchen abfrieren, wenn wir verdammt noch mal nur endlich einigermaßen geil und operiert aussähen. Irgendwie begehrenswert und fickbar.
Auf der Höhe der Zeit verpassten wir keine Spiegel-Eilmeldung, retweeteten wir alles, was uns aufs Display kam, empörten uns über die Langsamkeit von Push-E-Mails, zeichneten so ziemlich jede beschissene Petition, die uns gesellschaftlich relevant erschien.Wir glotzten die ganze Scheiße, die man uns in 3D mit 48 fps vorsetzte und diese wahnsinnig witzigen und anspruchsvollen US-amerikanischen Serien, die wir begierig als OV streamten.
Es lief alles so verdammt gut für uns: wir studierten schnell und hart, nannten uns ehrfurchtsgebietend BA, wollten uns endlich verdienen, Verbraucher genannt zu werden, waren Teil der werberelevanten Zielgruppe. Unsere Kommunikation lag offen zu Tage, aber - hey - wir hatten doch auch nichts zu verbergen. Wir waren auf der Seite der Guten, der Gegenwärtigen, die keine Vergangenheit zu bewältigen hatten. Ganz umströmt vom wärmenden Jetzt.

Hätten wir doch nur mal die AGBs und Datenschutzrichtlinien genauer gelesen.

Freitag, 13. Dezember 2013

Verselbständigte Apparate

Es geht, sagst du, um die Freihandelszone, TTIP, TAFTA, transatlantische Wirtschaftsverschwörung, entfesselte Konzerne, die ihre Interessen viel zu einfach durchdrücken können, die auf Transparenz und Demokratie scheißen. Du zeigst mir geleakte Dokumente und kopierte Schreiben und prophezeist das Schlimmste. Die Privatisierung der Wasserwirtschaft durch Nestlé, Monsantos Saatgutmonopol, den Ausverkauf der Atemluft, das Sterben der letzten kleinen Agrarbetriebe, den ganzen Dreck, den man uns als Nahrung verkaufen will.
Pluralistische Ignoranz, sagst du, ist wohl die einzige mögliche Erklärung, dass hier nicht schon längst die Luft brennt. - Wir sitzen mit rußgeschwärzten Gesichtern und lauschen, wir fragen uns, was zu tun ist.
Du zitierst Dutschkes umständliche Sprache: Wir müssen verunmöglichen, dass die Wirtschaftseliten uns manipulieren. Am liebsten würde ich fragen, was denn bitte "verunmöglichen" für ein Wort ist, aber es geht ja um die Sache, nicht um die Sprache.
Und was willst du jetzt machen? fragt da einer - Irgendwelche EU-Lobbyisten entführen? Doch du schüttelst eifrig den Kopf: Wir müssen es größer angehen, alle relevanten Interessengruppen mit einem Schlag ausschalten.
Auf deiner Powerpoint klickst du eine Liste von genau 52 Gruppen und Organisationen durch. Jeder darf sich eine aussuchen und sich eine Strategie überlegen, sie lahmzulegen, zu sabotieren, zu vernichten, auszulöschen. Du redest dich in Rage.
Da sind ja nur 4 deutsche Organisationen dabei, sagt einer, wie sollen wir das denn alles in den Griff bekommen. Und du sagst ziemlich lapidar: ihr werdet Weltreisende werden! Ihr werdet lernen euch in strukturschwachen Regionen zu verstecken und die Projekt aus dem Hinterland anzuschieben, euch erst im letzten Moment zu zeigen ohne die Deckung jemals ganz fallen zu lassen.
Marighella und so? fragt eine, und du sagst: Nein, das machen wir schon etwas anders, ich geb euch mal die Dossiers rum.
Du verteilst Broschüren und kleine Kochbücher im Fleckhaus-Design und ich bin ganz erstaunt, was man aus einem Labello, Orangensaft, Backpulver und Schwefelsäure für interessante Kommunikationsgeräte basteln kann.
Es bilden sich erste strategische Gruppen und wählen Ziele aus, jemand hackt sich in einen Server und wirft über den Beamer ein paar Texte an die Wand, Informationen rauschen vorbei, die so erschreckend sind, dass selbst den Abgebrühtesten mal kurz der Kaffee aus der Hand fällt. Und je mehr wir begreifen, welchen kranken Plan man da verfolgt und wie er uns alle zu entmachten droht, umso eifriger werden unsere Bemühungen.
Wir müssen, sagst du, angreifen, und zwar so hart und effektiv wie wir nur eben können.

Weiter informieren:
http://www.monde-diplomatique.de/pm/2013/11/08.mondeText1.artikel,a0003.idx,0
http://www.youtube.com/watch?v=k5BsryfIxaE
http://www.youtube.com/watch?v=AqWHV6xRtHY

Freitag, 20. September 2013

Wandel wertbezogener Postulate

Der alte Beamte hatte Maßnahmen ergreifen wollen zur Erhaltung der Lebenslust der Verurteilten:
Mit flinker Zunge schnalzend überlegte er sich, Apfelkerne zu pflanzen in die Augenhöhlen der Mörder, Lilien in die Hände der Diebe, Astern in die Münder der Lügner.
Die grollenden Wachhunde sollten Halsketten aus Gänseblümchen tragen und Malvenduft würde den Schweiß der Angst überdecken. Ins Meer hieb er Gruben, die das Dunkel der Nacht schlucken sollten, ersann mechanische Spinnen, die den Faden des Schicksals rückwärts spinnen konnten. Er verbot Hähnen den Morgenschrei und trainierte sie im Erzählen von Anekdoten und Bonmots. Grell schminkte er schwermütige Affen, er malte der Zukunft goldene Fliegenaugen und briet Tauben im Wachturm.
Doch als der erste der Verurteilten lachte, schoss er ihm mit Leidenschaft von hinten durchs Genick. Und schmunzelte leise.

Mittwoch, 4. September 2013

Maeterlincks Erlebnis

Maurice Maeterlinck machte als Kind von neun Jahren in einer erhitzten südfranzösischen Nacht, hastig atmend im Bett seines dunklen Kinderzimmers, eine irritierende Erfahrung:
Es träumte ihm, ein Schmetterling setzte sich auf seinen Mund und wüchse in wenigen Sekunden auf die Größe seines Dreiradsattels an, während er sich gleichzeitig mit seinen Widerhakenbeinchen so sehr an seinen Lippen festhielt, dass der Junge sie nicht mehr öffnen konnte. Bald klammerte sich das Insekt auch übermütig an seine Nase. So war ihm Sprache und Atem verwehrt. Zunächst hörte er noch, dass seine Eltern in der Stube umhergingen, doch er konnte sich ihnen nicht verständlich machen. Zwei ekelhaft flauschige Motten krochen alsbald in seine Gehörgänge, bis er nur noch das innerliche Pumpen seines eigenen kleinen Herzens hörte. In wilder Angst blickte er umher und sah eben noch, wie zwei große Schaben sich über seine Augenhöhlen schoben, bevor sich das schattige Zimmer vollkommen verdunkelte. 
Als er begann, wild um sich zu schlagen, sich aber nicht befreien konnte, kam seine Mutter, von den dumpfen Schlägen angelockt, besorgt in das Zimmer und machte Licht.
Mit geübten behutsamen Griffen nahm Sie die Insekten eines nach dem anderen von Ihrem Sohn und steckte sie in einen mitgebrachten Sack, wischte ihm abschließend mit einem feuchten Tuch über das Gesicht und sagte leise: Nur ruhig meine Junge, das ist alles nur ein Traum.

Dienstag, 6. August 2013

47

Er sagt: Ich weiß wovon ich rede. Ich hab die Gruppe 47 beim kollektiven Wackelpuddingessen erwischt!
Ich: Waldmeister oder das Rote?
Er: Ist doch scheißegal. Das war doch nur so eine Redensart!
Ich: Noch nie gehört.
Er: Ach, leck mich doch. Ich glaub Zitrone!
Ich: Warum sollte dieser pseudoelitäre Scheißhaufen Wackelpudding essen?
Er: Was weiß ich. Es war halt so!
Ich: Böll hasste Wackelpudding.
Er: Der Richter hatte ja auch Wodka reingekippt.
Ich: Ach so, ja dann kann ich mir das schon vorstellen. Wie eine Herde Brüllaffen unter Schnaps.
Er: Was hast du denn gegen die? War doch ne schnieke Sache.
Ich: Also hör mal, etwas, das Arno Schmidt zu doof war, kann doch eigentlich nichts sein.
Er: Aber Arno war doch der Unausstehlichste von allen.
Ich: Na, dann geh doch deinen tollen Uwe Johnson lesen, du Superhirn, du!

sprachs
ging
trank

Donnerstag, 1. August 2013

Autopoiesis

Das staatliche Gewaltmonopol war uns suspekt, doch wir verharrten im Notstand. Wir lasen Marcuse und missverstanden ihn, wir wollten ihn missverstehen. Sartre sprach klarer. Unserer Meinung nach hing Adorno im Elfenbeinturm rum, wie ein Zombie am Glockenseil. Horkheimer war einer dieser Besserdenker, der die Kritische Theorie in einem Büro in Frankfurt säuberlich polierte.
Idealismus ohne Praxis, der nicht zur Umsetzung drängt, war für uns verdächtig. Primat der Aktion und taktische Gewalt kam uns nicht unnütz vor.
Doch es gab keine Ideologie mehr, die wir angreifen konnten, sie war bereits unsichtbar herabgesunken in unsere Art die Waren zu begehren, die Arbeit zu leisten, die Verhältnisse zu leben. Warum sonst blieben die großen Revolutionen aus? Es gab keinen benennbaren Verblendungszusammenhang mehr. Die Prozeduren des Alltags waren so evident, dass sie unhinterfragbar geworden waren. Die Strukturen lagen offen zutage, wir mühten uns vergeblich, sie noch transparenter zu machen: sie waren längst über die Ermüdung der Massen gewachsen.
Die Allgemeinheit formte die Umstände, sie wurde nicht mehr geformt; die laue Zufriedenheit wies darauf hin, dass Huxley der Wahrheit viel näher gekommen war als Orwell.
Wir bemängelten das schwindende Klassenbewusstsein, sahen sogar das Bewusstsein überhaupt in Auflösung. Die Schaffung von Mehrwert ging auf Kosten Vieler. Wir dürsteten nach einer Theorie, die alles umfasste, die unsere Aktionen stützte und deren Elemente wir in den Setzkasten unseres Kopfes integrieren konnten.
Wir fühlten den ekelhaft prosperierenden Spätkapitalismus, der rhizomatisch unsere Familienstammbäume durchwucherte.  Wir fürchteten sein Belohnungssystem zu verlieren, wenn wir etwas unternahmen, endgültig herauszufallen aus den sich beschleunigenden Zyklen von Produktion und Konsumption.
Der Gesamtzusammenhang, so sagten wir uns, ist das Falsche, das Unwahre, das allgemein Anerkannte. Das zur Totalität tendierende gesellschaftliche System durchdrang Ökonomie, Politik und Kultur und wurde zur Apparatur genussvoll vollzogener Anpassungen.
Und doch träumen wir jede Nacht von der Entfaltung der Widersprüche und Konflikte.
Aus unruhigem Schlaf schrecken wir auf.
Mit der Faust unterm Kissen.

Montag, 22. Juli 2013

Sachzwang

Mein Nachbar sieht aus wie Marcel Duchamp.
Ich warte, bis er fort geht und breche bei ihm ein. Ich fotografiere sein Geschirr, seine gemusterten Stofftaschentücher und seine Arztrechnung.
Es ist kühl in der Wohnung, in einem Zimmer liegt auf dem Tisch ein Buch mit einem Einschussloch und Marmeladenspuren am Einband (Heidelbeere, mit Sicherheit).
Im Keller finden sich alte Reifen und ein an die Wand genageltes, völlig vertrocknetes Rosinenbrot. Ich gehe umher und verhalte mich wie jemand, der mich auf einer Bühne spielt - bedacht und unnatürlich. Ich fotografiere mich mit Selbstauslöser - 12 Sekunden aufgeregtes Atmen im stillen Dunkel - neben dem Rosinenbrot und lächele in die Kamera. Auf dem Foto werde ich mich später nicht wiedererkennen.
Als ich das Haus verlasse, verschwindet die Straße, Rue de Grenelle, von allen Stadtplänen.
Was in der Nacht noch geschah:
Schwimmunterricht, ein verlorenes Schachspiel, mäßiges Durstgefühl und der Entwurf eines gigantischen Kerkers.

Freitag, 17. Mai 2013

15 Instruktionen für einen freien Sonntag

01. Versuche etwas zu verlieren. Vermeide Absicht!
02. Male etwas, das Du noch auf keinem Bild gesehen hast.
03. Drücke Deinen Kopf wie ein frisches Brot.
04. Wachse über Nacht um 3 Millimeter.
05. Fotografiere Deinen Atem.
06. Sprich mit einem Vogel. Achtung: Rotkehlchen und Raben sind die besten Gesprächspartner.
07. Forme Kraft Deiner Gedanken eine Wolke zu einem konkreten Objekt um. Steck das Objekt in die Tasche.
08. Lasse etwas Gefangenes frei. Zerstöre den Käfig.
09. Verstecke etwas Obskures in der Wohnung eines Freundes. Erzähle niemandem davon.
10. Fange einen Windstoß in einem Glas. Lasse ihn in Deinem Zimmer wieder frei.
11. Finde eine Nase, die Deiner eigenen ähnlich sieht. Drücke Deine behutsam dagegen.
12. Vertausche in Deiner Wohnung die Position zweier Objekte, die Du oft benutzt.
13. Lehne die Realität als obszön ab.
14. Tauche im Traum eines Freundes auf.
15. Besinne Dich.


Montag, 29. April 2013

Eure Denke

Was denken die sich nur?!...

setzen halb rasierte Katzen auf Glastische und filmen sie von unten für ihren total witzigen Youtube-Kanal

tätowieren sich vergnüglich-esoterische Sinnsprüche aus dem Kleinen Prinzen aufs Skrotum

lesen Kindern mit Zahnspange Jandls "Schtzgrbn" zehn Mal in Folge zum Einschlafen vor

versuchen auf Midazolam die Braille-Botschaft der Rauhfasertapete zu lesen

schlagen hinterrücks Maulwürfe tot und beerdigen Sie in den eigenen Erdhäufchen

nehmen drei Mal täglich fünfundsiebzig Milligramm Venlafaxin und glotzen dann angstzitternd Martyrs

stecken nervösen Reisfeldratten im Zoo zerfledderte Ausgaben von Mille Plateaux zu

fahren eintausenfünfhundertunddrei Kilometer um mit Lourdes-Wasser geweihte Unterhosen zu kaufen

und sagen zu mir:
"Na, Sie haben aber ne Denke!"

Donnerstag, 18. April 2013

Garten der (un)erwünschten Worte

Einige Worte, die ich nie mehr hören oder lesen möchte:

Dispositiv, awesome, Lifestyle, Fashion, Richard David Precht, Primark, Bachelor/BA, Master, Personality, Akkreditierung, Hochbegabung, Rahmenbedingungen, Monetarisierung, Richtwert, diskursiv, Prekariat

Einige Worte, die ich gern mal wieder (öfter) wo lesen oder hören würde:

Heidelbeerpfannkuchen, Sommerfell, Fennek, Soubrette, Bilanz-Suizid, behutsam, Trapezoeder, Ritornell, Fröschin, Murmelbahn, Himbeerbubi, Siebensachen, Bilsenkraut, Flughund, Wechselbalg, Renommierband, saumselig, Scharmützel

Eure Vorschläge zu dieser Liste!?

Montag, 15. April 2013

Wir waren...


Wir waren Rocklegenden! Untergrundkämpfer! Rädelsführer! Magisterstudenten! Orchesterleiter! Straßenkämpfer! Teilchenbeschleuniger! Fraktaltangenten! Potenzgiganten! Tarnkappenbomber! Sternenzerstörer! Tierbefreier! Bombenleger! Weiterdenker! Morgenschläfer! Sonnenanbeter! Brandstifter! Eisbrecher! Harnischträger! Vernunftverweigerer! Bilderstürmer! Lichtbringer! Revolutionäre! Prozesszersplitterer! Mauernsprenger! Blitzmerker! Arcadespieler! Lautersteller! Titanenforderer! Transzendentalreisende! Kernfusionexperten! Experimentalphysiker! Märtyrer! Tischtennischampions! Rudimentalverbieger! Kontinentalkinetiker! Hungerkünstler! Feinschmecker! Datenschützer! Poesieeuphoriker! Welteinsturzmelancholiker! Religionskritiker! Rosenkreuzer! Kreuzritter! Testamentsvollstrecker!  Leistungsträger! Arbeitsverweigerer! Tatortreiniger! Kulturkritiker! Apokalypsenbeschwörer! Brandherde!
Gefangene unserer Triebe!
Aggregatzustände der Hoffnung!
Phantomschmerzen der Liebe!
Mätressen des Wahnsinns!
Traumata des Versagens!
Horizonte der Eklipse!
Trabanten unseres Wortschatzes!
Giganten der Langsamkeit!
Raben der Erinnerung!
Entzifferer des Palimpsests!
Zuneigetrinker des Grals!
Manichäer der Einsilbigkeit!
Selenografen der Tristesse!
Sterbliche!
Menschen!
Und wir sind es noch heute!

Mittwoch, 10. April 2013

Dressed for success

Heute Nacht in einem Wohnwagen im dänischen Hinterland Weltrevolution geplant. Achtundsiebzig Seiten Aufzeichnungen zur Umverteilung von Produktionsmitteln, Waren und Reichtum, Verhinderung spezifischer Kapitalflüsse. 
Für die Aktion "Hagbard Celine" neun Programmierer angefragt, alte Fabrikhalle angemietet, Glasfaserbreitbandinternetanschluss online beantragt. Das Xetra-System mittelfristig auszuschalten, sollte keine Schwierigkeit darstellen!
Einzelne Projekte und Roadmaps erstellt, erste Konzepte zur Unterbrechung und Unterbindung von privaten Fernsehen- und Radioprogrammen. Berechnung vektoriell magnetischer Feldgrößen zur Konstruktion des großen Realitätsverbiegers angestellt. 
Auf YouTube narrensichere Anleitungsvideos für DoS- bzw. DDoS-Attacken eingestellt, Bauanleitung für Datenjammer gepostet,  Webcrawler ausgeschickt, Kommunikationsstrategie ausgearbeitet, Bot-Netz fürs Wochenende gemietet.
Als erster Arbeitsschritt einen acht Punkte-Plan zur zielgerichteten Identifikation der Massen mit dem Unternehmen skizziert, kleine Holzmindener Werbeagentur mit Logodesign beauftragt.
Dazu im Repeat 8 Stunden Pinky and the Brain, Titelsong.
Und plötzlich wenden sich Pinky und Brain aus dem Bildschirm an mich und fragen: „Ist das jetzt eine kritische Phase in der Geschichte?“ Und ich sage zu ihnen: „Wollen wir es hoffen!“

Sonntag, 31. März 2013

Kleines Literaturrätsel (VI) - Wer bin ich?

So mancher im Büro redet hinter meinem Rücken, getrieben vom Neid auf meine bessere Anstellung – denn wer wäre nicht gern verbeamtet? Man trägt die feinere Kleidung, drückt sich gewählter aus und lupft den Hut im Vorübergehen.
Auf der Straße schau ich auch mal den Damen hinterher, wie eben erst einem besonders entzückenden Kind, das eine - man mag es kaum glauben -  sprechende Hündin besitzt, die über einen erheblichen Wortschatz gebietet. 
Das habe ich später umso mehr gedacht, als ich einen Briefwechsel eben jener Hündin an mich brachte, worin ich fand, dass dieses Tier nicht nur etwas von Politik verstand, sondern auch so manches französische Wort benutzte – obwohl man doch an der Schrift erkannte, dass hier nicht die Hand, sondern eine Pfote die Feder geführt haben musste.
Einige Tage später, aber wieviele Tage sind es eigentlich und in welchem Jahr befinde ich mich?, fällt es mir immer schwerer, meiner gewöhnlichen Arbeit nachzugehen, da ich mich nicht mehr zu den Bürgerlichen zähle. Wie kann das den Menschen nur verborgen bleiben? Sie bleiben kaum stehen, wenn ich vorbeigehe. Sehen sie mich denn nicht? Begreifen sie denn nicht, wer ich bin?
Außerdem plagen mich alle Tage zwei Fragen: Warum diese Duschen mit Eiswasser? Und: Wie reise ich möglichst schnell ein paar tausend Kilometer Richtung Südwesten?

Samstag, 23. März 2013

Der rechte Augenblick

Von den Terrassen der Cafés klingen metallisch die Stimmen
Und eifrige Raben stehlen Gästen das Gebäck von den Untertassen
Traurige Passanten spucken auf die Gleise der Straßenbahn
Während die Oberleitungen von fernen Trafostationen singen
Ich stehe mit einem Buch unterm Arm am Tiergarten
und warte auf den Regen
Als ich dich sehe, mit dem gleichen Buch vor der Nase
Einem Zinkfüller am Revers und dunkelblauem Hut
Wie du dich abwendest und über einen Tautropfen sinnst
Der heute früh aus dem Kelch einer kühlen Blume in deine Hand fiel.

Dienstag, 19. März 2013

Betula incognito


Wildes Treiben auf dem Bahnsteig. Durchsagen und Blicke fliegen durch die kühle Luft. Der Russe mit der Waschbärmütze ist eben aus dem Zug gestiegen und bleibt vor mir stehen:
-Sind Sie nicht diese Birke? fragt er
-Birke? Ich?
-Ja, diese Birke, die früher vorm Fenster meines Kinderzimmers stand? Mein Lieblingsbaum und Schattenspender!
-Sehe ich denn aus wie ein Baum?
-Ähm, jetzt, wo Sie’s sagen, naja, hm, aber irgendwie...schon…
Sein Atem riecht leicht nach Schnaps und offensichtlich sind ihm seine Worte mittlerweile ein wenig unangenehm. Er errötet und räuspert sich, sagt „entschuldigen Sie“, dreht sich rasch auf dem Absatz um und geht davon.
Als ich am Tag darauf, auf der Wiese stehend, die Arme weit in den Himmel gereckt, sonnenfleckige Schattenmuster an die Hauswand male, frage ich mich ganz kurz: wie hat er mich nur erkennen können? Ich hatte doch einen Mantel an… und Schuhe, dazu ein T-Shirt und sogar eine alberne Basecap.
Ich runzele die Rinde. Es bleibt mir ein Rätsel.

Montag, 11. März 2013

Kleines Literaturrätsel (V) - Wer bin ich?


Es ist schon eine Art kurzer Amoklauf mitten in der Flora eines hübschen Waldgebietes, was ich, schwitzend in meinem schwarzen Anzug, hier veranstalte. Eine Krankheit der Moderne, eine Überspanntheit der stadtgewohnten Nerven, ein Anflug von Neurasthenie, die schließlich zu verwirrender Selbstbeobachtung führt. Und? Was sehe ich? Mich selbst, wie ich ein Geschöpf köpfe, dessen Blut den Boden besudelt und dessen abgeschlagenes Haupt ein befremdliches Eigenleben entwickelt.
Es war ein kalter Mord, soviel weiß ich selbst, und grübele über die Möglichkeit, eine solch offensichtliche Leiche zu eskamotieren. Gleichwohl verweigere ich die Buße, verfalle dann aber auf die irrsinnige Idee, dem Kadaver neuerlich Leben einzuhauchen. Doch zu spät: bleibt nur die Flucht – und am Rande des Weges stehen finstere Gestalten, von denen manche weinen und andere nach mir greifen.
Zurück daheim finden meine Gedanken keine Ruhe, die Tote umtreibt mich, verdreht mein Gehirn für lange Zeit, entfacht in mir einen verqueren Totenkult, bis ich schließlich, viel später, zurückkehre an den Ort meiner Tat, um weiter und noch mehr zu morden. Und ich lache – na bitte, es geht doch!

Sonntag, 3. März 2013

Mahnung


Trau nicht den Männern mit den schwarzen Hüten
Erst gestern sah ich einen
Der ein Säugetier verspeiste
In ein Kinderbuch pisste
Und einen Tautropfen zertrat
Trau nicht den Männern mit den schwarzen Hüten
Sie erschlagen Marienkäfer
Mit Hauptstadttelefonbüchern
Bleiwinkelrohren
Und Eisenbahnschienen
Trau nicht den Männern mit den schwarzen Hüten
Sie handeln
Mit Finanzobligationen
Echthaarperücken
Und Läusemilch
Wenn du einen von ihnen siehst
Zögere nicht
Schlag ihn mausetot
Mit einem Strauß Wasserlilien

Freitag, 15. Februar 2013

Jagdfreie Zeit

Jetzt hört mal, Leute. Ihr müsst auch mal die Waffe aus der Hand legen, mal keine Bombenkochbücher downloaden und keine Zündkapseln an Lichtschranken anschließen. Einfach mal die Brandsätze ins Schaumstofffutter der kleinen Koffer zurücklegen, die ihr immer so auffällig um die Fundamente der Hochhäuser bewegt.
Ist schon klar, was ihr wollt und wofür ihr kämpft, aber wie wärs denn mal mit etwas zünftiger Protestlyrik, gerne auch so Rolf-Dieter Brinkmann-Style, oder vielleicht ein Gegenwartsdrama, das den Finger auf die wunde Stelle legt, der Gesellschaft mal so richtig den Spiegel vorhält. Oder was mit Kerzen, Lichterketten und Schweigeminuten, Leserbriefe oder mal ein Streik, aber nicht zu lange. Nicht, dass der Infrastruktur noch die Puste ausgeht.
Oder eine Petition, ein Bürgeraufbegehren, aber bitte nicht übertreiben - es muss alles im Rahmen bleiben - und keine allzu bösen Worte. Protest-T-Shirts sind auch was Feines oder mal einen kleinen Sticker, aber bitte nur an die dafür vorgesehene Stelle kleben, keine Sachbeschädigung riskieren. Man kann ja auch auf den Facebookseiten der großen Konzerne mal was Kritisches schreiben, oder vielleicht was Kritisch-Konstruktives, gleich mal einen Verbesserungsvorschlag posten. Oder andere Konzerne, die irgendwie mehr in die Ethikpromotion investieren liken, aber mal so richtig: inklusive teilen und doppel-liken.
Sublimiert doch mal die ganze scheiß Aggression (am besten im Netz - das Netz schluckt doch alles), so kanns doch nicht weitergehen. Wie wärs denn mal mit ner schicken Videoinstallation zu Transparentmachung hegemonialer oder sonstiger Machtverhältnisse? Oder zur Mythenanalyse? Oder zu geschlechterspezifischen Stereotypen? Einfach mal Bildende Kunst statt Bombe. Pinsel statt Zündschnur, Füller statt Heckler & Koch.
Und jetzt fangt mir nicht an, diesen Kram im öffenlichen Raum zu verteilen, reicht doch schließlich, wenn ihr das in euren Hinterhöfen und Garagen macht!

Dienstag, 12. Februar 2013

Was sollen die Texte nur von uns denken?


Robert Johnson hören in der Bibliothek
Beim Überqueren des Zebrastreifens an Barthes‘  Tod denken
Spiegeleier essen im Collège de France
Dem Brahmanen die Nougatschokolade klauen
Zaghaften Bildhauern Dynamit schenken
Dem Leser die Wahl der Waffen überlassen
Die Tapisserie im Palais Faubourg verachten
Unter der Dusche Bruges-la-Morte lesen
Vom Verkehr umströmt, inmitten der Kreuzung schreien:
Ich bin Edmont Dantès, Kapitän der Pharao!

Sonntag, 3. Februar 2013

Abwesenheit


Man findet eine alte Brille wieder, die mittlerweile ein nicht mehr ganz scharfes Bild produziert, reibt sich die Augen und schaut stundenlang Fotos von früher an.
Da gibt es Menschen, die nun nicht mehr leben, die man vermisst, schmerzlich vermisst. Deren Verschwinden zum Verdrängten gehört, damit die Tage leichter fallen.
Diese rohe Realität der Fotos haut einem das ganze Gewesen-Sein um die Ohren, das ist keine Simulation: es ist so gewesen. Und in der hellen Kammer tapsen wir umher, zwischen den Zeiten, zwischen alten Kaffeekannen und Porzellanfiltern, Gesichtern, Nächten und Himmeln.
Die Fotografie entblößt jedes Detail, öffnet die Adern der Vergangenheit, produziert eine totale Distanzlosigkeit.
Zwischen alledem, den Bildern der Freunde und Dinge und Orte, erblickt man sich selbst in der Spiegelung einer Scheibe: Schemenhaft halte ich die Kamera, deren Objektiv eine Wirklichkeit verfügbar macht und entzeitlicht. Was Barthes „unbedarfte Kontingenz“ nennt hat die Wucht einer Wahrheit, die in Umrissen wahrnehmbar wird.
Mit Hilfe der Fotografie betreten wir die Ebene des Todes, betreten die Welt des Gewesenen, des nicht Wiederkehrenden, des Unumkehrbaren.
Und doch flüstert die Fotografie auch leise von Auferstehung.
Es ist dieser Schwindel, der so sehr schmerzt.

Freitag, 25. Januar 2013

Wissenswertes für Eltern

Trinken Kinder von 3 Jahren Kirschsaft bei Dunkelheit und Sturm, bekommen sie unproportional große Füße.

Fahren Zehnjährige im Winter bei Ostwind und gleichzeitigem Schneefall mehr als 3 Stunden mit dem Schlitten, verschieben sich die Augenbrauen in Richtung Ohr.

Lässt man Kinder in ihrem siebten Lebensjahr an Gold lecken, mögen sie niemals im Leben Labskaus.

Zeigt man Zweijährigen einen Western in der letzen Aprilwoche, neigen sie später zu Ohrläppchen in der Form von Peru.

Sitzen Vierjährige mehr als 2 Stunden bei Schlagermusik gegen die Fahrtrichtung im Zug, können sie niemals ohne schreckliche Quietschgeräusche an eine Tafel schreiben.

Tunkt man die kleinen Zehen von Fünfjährigen in Nussöl, bekommen sie ein besonders feines Gehör.

Liest man Achtjährigen rückwärts aus dem Buch Deuteronomium vor, werden sie später besonders umsichtige Autofahrer.

Montag, 21. Januar 2013

Meanwhile


Als ich meine Aufzeichnungen vom Vortag noch einmal las, wurde mir klar, dass Kaffee der Grundstein für alles ist.

Ohne Kaffee gibt es nichts zu wollen. Nicht im Mindesten.
Und deswegen brauchen wir einen Kaffee, damit wir einen Gedanken haben, damit wir einen Garanten haben, dass es weitergeht.
Und diesen Kaffee sollte es möglichst pünktlich zum Tagesstart geben – was nicht heißt, dass es nicht auch einen Kaffee zum Ende des Tages, also in der Nacht, geben sollte. Der Nachtkaffee ist ebenso wichtig wie der Morgenkaffee, der ja auch oft erst ein Mittagskaffee ist.

Meanwhile in the Sheraton:
Doctor Jeep plays on and on and on...

Meanwhile in Troja:
Ein Althistoriker treibt die Seinen zu Höchstleistungen an. Alle buddeln in einem verbotenen Gebiet und werden daraufhin festgenommen.

Meanwhile in Paderborn: Ein Ex-Literaturwissenschaftler überlegt, auf seine alten Tage noch Gegenwartsdramatiker zu werden. Er ist naiv. Er ist sich ganz sicher, dass man da eine Menge Geld machen kann. "Da liegt Gold im Drama", flüstert er gedankenverloren.

Meanwhile im Portemonnaie:
Hm, denkt das schwach unterfütterte Geldstück, warum bin ich nie so richtig in den monetären Kreislauf eingetreten, immer nur in Deutschland geblieben, nie durch schwitzige Hände nach Italien gereist, die früher Millionen Lira hielten. Manchmal lag ich ja schon mit einem französichen Zwei-Euro-Stück im Lederbett, das war ein potentes Bürschchen. Und bei den Ärmsten, das weiß das Kleingeld, hat man es im Münzfach am besten. Manchmal wird man zur Glückmünze und tritt aus der Gesichtslosigkeit hinaus, streift die Larve der Uniformität ab – bis schließlich ein Astra Pils mit einem bezahlt wird. Dann lungert man vielleicht die ein oder andere Nacht in einer nach Zigarettenrauch stinkenden Kassenschublade herum und vertreibt sich die Zeit mit ein paar Kupfermünzenaufziehereien. 

Meanwhile meanwhile: Der Kaffee ist fertig!

Samstag, 19. Januar 2013

Licht aus

"Mach das Licht aus, mach es aus, AUS!", schreit er, und dann: "Sie sehen uns, verfluchte Scheiße, sie können uns sehen!"
"Wer jetzt noch gleich?", frage ich etwas verwundert. Schließlich lagen weder Waffen noch Pamphlete auf dem Tisch. Da waren nur zwei Tassen Kräutertee - und es waren noch nicht einmal besonders seltene Kräuter. - Aber sei's drum: ich lösche das Licht und warte auf seine Antwort.
"Du weißt schon: SIE! Mensch, die Mikrofone, da kann ich doch jetzt nicht drüber sprechen, mal ehrlich, das kannst du doch nicht von mir erwarten.", flüstert er in einer Art angestrengt superleisem Brüllton.
"Also Wirklich!", raune ich zurück "Das sind doch nur Gedanken, zerebrale Feuer, neuronale Salven, das kann doch keinen stören."
"Aber was wir so denken", nuschelt er kaum hörbar, "rüttelt doch an den Grundfesten von Glauben, Staat und Fiskalsystem."
"Na, ich weiß nicht!", gebe ich halblaut zweifelnd zurück. 
Er zischt panisch, sieht mich erschreckt an, weist nach draußen in die Nacht.
Und tatsächlich: Am Fenster auf der gegenüber liegenden Straßenseite steht eine Katze mit einem Fernglas an den Augen. Damit nicht genug: später sehe ich im Park zwei Eichhörnchen beim Wegschleppen eines Richtmikrofons, und ein Igel, der mich einige Zeit verfolgt, notiert im Licht eines verwaisten Hauseingangs etwas in ein winziges Büchlein.

Ganz ehrlich, von der Katze hätte ich das vielleicht noch gedacht, aber Eichhörnchen und Igel kamen mir nie wie Denunzianten vor. 

In einem dunklen Zimmer sitzend, trinken wir später nächtens in schwarzer Kleidung schwarzen Kaffee aus schwarzen Tassen - und schweigen. Er hat sich sogar mit Kohle das Gesicht geschwärzt. Soweit wollte ich dann aber doch nicht gehen...

Dienstag, 15. Januar 2013

To Do Liste

Anleitung zur Selbstverwertung schreiben
Auch Weltherrschaft möglich
Und nicht vergessen Schürfrechte zu erwerben
Fast so wichtig wie die Drehgenehmigung
Dann Kerze ins Fenster stellen
(Für verlorene Seelen)
Und Spektralanalyse durchführen
Radiokarbonmethode tuts aber auch
Beim Mangelservice anrufen

Oder doch besser gleich in die Kopfklinik?

Samstag, 12. Januar 2013

Kohelet 1,2-11


Trinkt nur weiter eure Energydrinks, updated täglich eure Facebook-Profilfotos, dokumentiert euer leeres Leben, die ganzen miesen Restaurants und Zerstreuungen, sammelt Freunde im Dutzend, fotografiert eure Outfits und Schminkutensilien, absolviert eure runtastic-Runden. Definiert euch durch das, was die Kaufkraft erlaubt, bloggt euren Sermon, kontrolliert den Pagerank, gebt euren Geräten Namen, beklebt eure Handys mit Symbolen, schaut eure Shows, die neusten 3D-Filme, lest eure schwachsinnigen Bücher voller Pseudo-BDSM, lasst euch die Genitalien piercen, rammelt zu den Melodien der Hitparade, schlürft eure Cocktails im Stehen, steht an hippen, bunt leuchtenden Tischen in Clubs, geht zu kulturwissenschaftlichen Vorträgen, redet was von Sublimation und Theoriebildung, Paradigma und Diskurs, reflektiert euer schuldloses Geworfen-sein in diese Welt, trinkt Wasser aus französischen Gebirgen, bastelt an Netzwerken und Karriere, kackt im Stehen und pisst im Sitzen.
Es kann schließlich nicht jeder ein Amundsen sein: Allein, in der weißen Hölle, schreiend, bei sich.

Sonntag, 6. Januar 2013

Kleines Senfkorn Hoffnung

Man liest vom Luminalschema und diesen Fabriken, den Morden des Westens, dem Kollateralschaden des Luxus', von den neuesten Gadgets und der Legitimationsdebatte der Geisteswissenschaft im Großen und Ganzen, kultureller Kodierung der Körper, moralischer Entrüstung und Abrüstung, Killer Cotton und Handarbeit, instrumentalisierten Antisemitismusvorwürfen und Arschlecken. Man liest in bunten Magazinen und auf hochauflösenden Bildschirmen der Apps, die uns den Blick auf die Welt verstellen, man lädt sich den Beipackzettel als PDF herunter, formatiert die Exceltabelle um, startet die abgeschmierte SAP-Applikation neu, lutscht das Bonbon mit künstlichem Litschigeschmack, verbittert.
Am Ende des Tages versickert das ganze unerträgliche Wissen langsam in den Ritzen der Nacht, doch die Unruhe bleibt, dieses unkontrollierte Zucken der Hände, der Wunsch, das Medikament auszuschleichen, doch es geht nicht, dann würde man ja unsediert vor diesem Berg aus Leichen und Hochglanzprospekten, Produkten und Softwareupdates stehen.
Und eben hält man alles für verraten und verloren, da sieht man im Schatten der regen- und sturmgeschüttelten Straßenlaterne die Hündin am Fenster sitzen, die ganz leise "Kleines Senfkorn Hoffnung" intoniert.

Sonntag, 18. November 2012

Kleine Parabel von der Lebenslust


Auf den Stufen vor dem Gefängnis hockt ein Mann im Filzmantel. In seiner Hand hält er ein Messer, auf dem ein Rotkehlchen sitzt.
Immer wenn der Mann Hand an sich legen will, fliegt der Vogel davon und er muss so sehr lachen, dass es ihm absurd erscheint, die geplante Tat auszuführen. 
Also beruhigt er sich wieder, hält das silbern blinkende Messer mit der stumpfen Seite nach oben in die Sonne und wartet auf das Rotkehlchen, das sich bald wieder flatternd niederlässt.

Donnerstag, 27. September 2012

Lass brennen

An Tagen wie diesem gefiel er sich darin, mit seinem Wagen durch die Straßen zu fahren, in erheblicher Lautstärke Zemlinskys "Der Traumgörge" zu hören und mit einer großkalibrigen schalldämpferbewehrte Waffe (eine allzu aufdringliche Unterbrechung des Musikgenusses wäre ihm unangemessen erschienen) auf Ampeln und Straßenbeleuchtung zu schießen.
"Ist es denn nicht so", dachte er bei sich, "dass nur eine größtmögliche Entfernung von der Realität uns ein inneres Aufatmen beschert? Und wenn ja: Wie ist das zu bewerkstelligen? Durch Auslöschung der Realität oder Auslöschung des Selbst?"
Das ganze Prinzip 'Realität' erschien ihm aufdringlich und widerlich. Dass da überhaupt Objekte waren, die einem als Gegenstand entgegen standen. Dieses klebrige An-sich-Sein der Dinge, die Sachverhalte, die bestimmten, wie irgendwas möglich ist. Je mehr er sich auf die Sache einließ, desto finsterer wurde seine Miene: Diese ekelerregende Washeit des ihn umgebenden Weltzusammenhangs, diese physische Präsenz von allem. Erkenntnistheoretisch war das ganze ein eher ungewöhnliches Problem: Gerade die Zugänglichkeit der Welterfahrung war ja das, was ihm - er gestattete sich einen Euphemismus - 'so wenig Freude bereitete'.
"Welche Wege gibt es denn", so fragte er sich, "die aktuelle sinnliche Erfahrung zu unterbinden und gleichzeitig den Erfahrungshorizont in solcher Weise zu überschreiben, dass einen auch das Erinnerte nicht länger belästigt?"
Er spuckte angewidert aus dem Wagenfenster und lud die Waffe nach.

Mittwoch, 8. August 2012

Kommune oder Kaisertum


„Für 2 Mark den Bauch voll.“, sagst Du und machst ein halbes Kilo Nudeln mit Pesto. Ich reibe den Käse, dann essen wir. 
Du putzt später die Fenster mit alten Zeitungen, in denen steht, wie die ganze Sache ins Wanken geraten ist. Eine davon zeigt die brennende EZB auf dem Titelblatt. Auf der Rückseite entdecke ich später den Wiederabdruck von Noam Chomskys berühmter Rede, gehalten kurz vor der großen Destabilisierung. Die anderen herumliegenden Zeitungen zeigen den ausgebombten Firmensitz von ExxonMobile, die Erstürmung des Procter&Gamble Headquarters durch die Massen, die unter Wasser gesetzten Büros der E.ON. Frankfurter Rundschau, Süddeutsche, Zeit. Die BILD gibt’s nicht mehr, das Springerhaus brannte schon ein paar Tage vor der EZB.
Seit die Fernsehsender nicht mehr senden, ist es stiller in den Straßen. Da ist Kerzenlicht an den Fenstern und Katzen liegen faul im Rinnstein. Die Autos stehen still, Sprit gibt’s schon lange nicht mehr, aber Fahrräder werden einem sofort geklaut, wenn man auch nur eine Sekunde zur Seite schaut.
Gute Cocktails gibt’s merkwürdigerweise immer noch, zumindest wenn man den Meister mit Kaffee versorgt. Aber auch unsere Kaffeevorräte sind nicht unendlich. „Ich weiß, wie der Hase läuft.“ sagst du und holst ein Pfund Fairtrade Guatemala Grande aus dem Erddepot am Fuße der drei mächtigen Buchen, die lustig im Abendwind nicken.
Später lese ich in einem absonderlichen Büchlein – „Der Taschentherapeut: in 60 Sekunden wieder okay“ – die alte Binsenweisheit, dass jede Krise, vor allem eine Chance sei.

Mittwoch, 25. Juli 2012

Zielgruppe



Gehörst Du zur Zielgruppe? Für die angebotenen Produkte oder die soziale Revolution? Für Gegenwartskunst und ästhetische Manipulation, Fluxus und Politik? Die letzte Scripted Reality Show, die Weisheit der Sender und Stationen und der Drohnen, die Dich mit chirurgischer Präzision auslöschen können, wenn Du mit Deinem Seitenschneider die Zäune der Schweine- und Geflügelfarmen zerschneidest und in den Kontrollräumen der Produktionsbetriebe Deine liebevoll selbstgebastelten Bomben auslegst, das Brandbeschleunigergel auf die stahlglänzenden Pulte applizierst. 
Ihre Drohnen sind effektiver als Deine Politik der tausend Nadelstiche, als alle Aktionen Deiner vermummten Gruppe. Ihre Nachtsichtgeräte kosten mehr als Dein Auto, ihre Befehle sind klarer als Dein Bewusstsein. Ihr Sender ragen mit tausend Kilowatt in die Welt, ihre zentral gesteuerte Medienpräsenz vermittelt einfachere Weltbilder, deutlichere Botschaften und buntere Farben. Ihr Geld ist frischer gedruckt als Deine Flugblätter, ihre Institute haben die repräsentativeren Umfragen und überzeugenderen Statistiken.
Doch trotz alledem weißt Du, dass ihre Maschine ohne Glaube ist. Dass ihre Maximen nur maximieren. Du sammelst die neuralgischen Punkte, Du wappnest Deinen Verstand gegen die Verblödung und die Strategien ihrer verzinsten Distraktion.
In der weltweiten Totaldiffusion wird es immer schwieriger, den Trennstrich zwischen Dir und ihnen zu ziehen, den Trennstrich zwischen Medium und Botschaft, zwischen Wahrheit und Lüge.
Die Inkommensurabilität der Situation schützt alle mit unklaren Positionen, die Komplexität lässt jeden, der deutlich dafür oder dagegen ist erscheinen als den, der es sich zu einfach macht. Aber nach wie vor gibt es richtig und falsch.
Tatsächlich, denkst Du, ist es gut, zu ihrer Zielgruppe zu gehören. Sie sind ja auch die Deine.

Donnerstag, 12. Juli 2012

Toilette des Grauens

Bis eben hab ich ja geglaubt, die schrecklichsten Toiletten seien jene am Bockenheimer Campus der Frankfurter Goethe-Universität, aber dieser Kurzfilm hat mich dann doch davon überzeugt, dass es immer noch schlimmer geht.

Mittwoch, 11. Juli 2012

Google Statistics: Search Request


Im Folgenden einige der Suchbegriffskombinationen, über die man in den letzten Monaten auf diese Seite gestoßen ist. Klingt wie eine Reizwort-Schreibaufgabe fürs Kreative Schreiben und ergäbe vielleicht eine ganz hübsche Geschichte :-)

Kaffee Wahrheit Spinnen Koffein
Anti-Schlaf-Aparillos
Größter Tunnel Ohr
Um null Uhr schnappt die Falle zu
Engel machen Terroristen kalt
Alte Brunnen aus Holz
Tiger liegend
Auf dem Meer treiben
Die beste Art sich zu wehren, ist sich nicht anpassen
Grauer Vogel mit schwarzem Kopfhaar
Pflanzen öffnen sich morgens und schließen sich abends
Fotografie im alten Steinbruch mit jungem Mädchen
Heimlich gepupst
Fernsteuerbare Fische
Alte Truhe alte Mauer
Dunkle Gasse Bleistift
Wittgenstein Leiter
Leckt mich doch alle
100 Arten in den Wald zu scheißen
Beschleunigung Medien Vielfalt
Chirurgisch Herz
Ja natürlich Schweinchen
Brutaler Stuhlgang
Kubricks Würfel Kreise
Paula Facebook Fick
Toter ohne Kopf
Arbeiten kaufen sterben
Gesellschaft Dressur
Altes Fünfmarkstück
Schlafmohn Blätter
Falsches Spiegelbild
Totenmaske
Wurzel mit Schubladen
Nekrophilie tatsächliche Fälle
Teufelshörner mit Photoshop
Wir Deutschen fürchten Gott, sonst nichts auf der Welt
Salafisten mit Messer
Spiegel blind Struktur
Nur Idioten klopfen an die Scheibe

Donnerstag, 5. Juli 2012

Ich geb dir gleich Herrschaft der Logik, du Drecksack

Am Rande von Wäldern und Ozeanen stehen die Alten und jung Gestorbenen und halten die Hände in die Höhe, formen die Wolken, verteilen die jenseitige Zuwendung ungerecht und doch weise, wenn alle Reiche sich im Machtanspruch vernichten. Was bleibt sind magische Tiere, bizarre Hybriden, die meilenlange Wimpern haben, in denen sich die Zuversicht verfängt. 
Eine Woge spült uns fort, nimmt uns die Luft und lässt uns etwas anderes atmen, wenn die Herzschläge über alte Feldwege holpern bis das Rad bricht und die Worte antworten. Die Zerschlagung des Bewusstseins ist ein hehres Ziel, für uns, die wir keine Ziele haben, weil wir uns der Bewegung überlassen wollen, die nicht aus uns selbst heraus entsteht.
Es geht einmal mehr darum, die andere Seite aufzusuchen, die andere Seite zu bewohnen, unbehaust, und doch ausgestreut wie die Zikaden der Dämmerung oder der Glanz auf einer Paprika, die Händler polieren, denen der Verkauf oder die Schönheit alles sind. Die zahmen Fähigkeiten müssen fallen.
Wenn wir im Schlaf die Wachheit töten und auf Forellen die Flüsse befahren ohne Angst vor dem Tauchgang, dann ergeben sich Verbindungen und verschwinden die Gründe, die nur im Wachen so plausibel erscheinen. Wahnsinnig werden, Illusion werden, Fresken aus eigenem Blut an die Decken malen und nichts mehr sein als ein Nichts in der Imagination eines Riesen, der mit seinen Händen den Flusslauf umlenkt und sich vergisst.

Dienstag, 3. Juli 2012

Auf Reisen

Um kurz nach zwei Uhr nachts auf der A5 Richtung Frankfurt bei Butzbach in einem Stau unüberblickbarer Länge zu stehen, ist sicherlich keine optimale Lage, zumal wenn nach etwa dreißig Minuten ein listig blinkendes Auto vorbei fährt, auf dessen Dach in roten Lettern das verheißungsvolle Wörtchen VOLLSPERRUNG in nachdrücklichen Majuskeln in die abgasgeschwängerte Luft strahlt.
Es hätte alles so frustrierend sein können, wenn aus dem Fond mir nicht eine Pfote das Reisespielset entgegengestreckt hätte, denn, das ist der heutige Sonderfall, die Hündin macht bei mir in Frankfurt Urlaub, sie hatte sich das schon länger überlegt, erzählte mir von der Schwanheimer Main-Düne und dass sie eben jene zu erkunden gedenke, sie außerdem für eine innerstädtische Flanerie bereits in Google Maps eine erbauliche Laufstrecke zwischen den Wohnhäusern der Köpfe der Kritischen Theorie ausbaldowert habe, man wolle schließlich, mit Verlaub, als Hündin von Welt, an dem Teilhaben, was der Mensch (hier wandte sie den Kopf spöttisch ab) allgemein als Bewusstseinsbildung bezeichne.
Aber ich schweife ab. Eben jene Hündin also streckte mir unversehens das Reisespielset meiner Kindertage entgegen und äußerte, dass wir durchaus eine Partie wagen könnten, "Malefitz" oder ihretwegen auch "Mensch ärgere dich nicht", selbst wenn der Titel dieses Spiels speziezistisch sei, ihm also ein unvertretbares soziales Konstrukt zugrunde liege - es sei denn, die Erfinder wären, durchaus nicht unberechtigt in ihren Augen, bereits bei der Konzeption davon ausgegangen, dass der Mensch hier, wie in so vielen Lagen, der Unterlegene sei.
Ich werfe ihr an dieser Stelle wortreich einen animalischen Chauvinismus vor, aber sie will davon nichts hören. Stattdessen wählt sie Schwarz als ihre Farbe, stellt die Spielfiguren auf, würfelt mit einem wohldosierten Pfotenhieb und schaut triumphierend auf die gefallene Sechs.
Als auch ich eben würfeln will, fahren die Wagen bereits wieder zaghaft an. Und es ist wie immer: anstatt zu spielen, haben wir uns in eine schnippische Diskussion verstrickt - aber auch das ist eine Weise, die Zeit zu überbrücken, zwischen Bewegung und Stillstand.

Samstag, 30. Juni 2012

Killing Time

Es ist nicht so sehr die Zeit das Problem, als deren stetiges Vergehen, seit sie allgemein als etwas exakt Quantifizierbares angesehen wird.
Gestern einen Tag lang rückwärts gesprochen, um mich dagegen zu stellen, scheint mir allerdings noch ineffektiver als Schweigen. Versuche mit Schwerkraft, Gitane Maïs und Fluchtgeschwindigkeit des Planeten erfolglos. Bisher maximale Zeitdehnung nur mit sorgsam dosierten Drogen erreicht, hier allerdings stark herabgesetzte Aufmerksamkeit, im Prinzip nur noch Zeiterfahrung, aber nicht deren Verschwinden erreicht. Nach nächtlichem Einbruch in Betriebsgelände unzureichende Annäherung an Lichtgeschwindigkeit im Rückwärtsgang auf der Teststrecke eines hiesigen Automobilkonzerns erfahren. Experimente mit Gin und absoluter Dunkelheit zeigen nur marginal positive Ergebnisse, außerdem leichte Handlungsbehinderung durch totale Finsternis. Kopfstand auf Friedhöfen scheint auch wenig zielführend zu sein.
Für morgen Nacht geplante  Versuchsreihe:  Trampolinspringen unter psychoaktiven Pilzen bei Wiederholung des immer gleichen Satzes, ausgewählte Sprache: Die hochlandostkuschitische Variante Sidama, hat bereits bei früheren Experimenten wertvolle Dienste geleistet. 

Donnerstag, 28. Juni 2012

Sonntag, 24. Juni 2012

Kleines Literaturrätsel (IV) - Wer bin ich?

Nicht allzu lange nachdem die Bomben gefallen waren, wurde ich Chef einer Bande, die wenig Gutes im Sinn hatte. Er war neu bei uns und wir verspotteten ihn wegen seines Namens, nannten ihn nur noch T., damit wir nicht in Lachen ausbrechen mussten. Und ich hätte T. aufhalten können. Er war mir gleich von Anfang an unheimlich. Etwas in ihm war anders.
Später, als wir alle zusammen das Gebäude in Schutt und Asche legten, gab es einen Moment, wo T. uns aufforderte, die Sache zu Ende zu bringen. Sein Blick war unerbittlich und ich verstehe bis heute nicht, wie er unsere Gruppe zu einer Art von Vernichtungsmaschinerie formte, zu einer rasselnden Mechanik die alles zu Staub zermahlte. Ich verstehe auch nicht, warum wir das Geld verbrannten, es nicht einfach behielten und davon liefen.
Ich war Anführer einer Bande, die jetzt nur noch auf T.s Worte hört. Auf seine kalten und ruhigen Worte.

Montag, 11. Juni 2012

the music that they constantly play...

Ganz genau wie ich mir das vorgestellt habe: DJ Schnürschuh legt auf und es ist ziemlich Old School und etwas Detroit, nur noch deeper.
Apropos DJ Schnürschuh: habe gesehen, wie er angekommen ist mit seinen Plattenkoffern und Turntables. Er fährt einen Bulli, den er wie einen Tiger angemalt hat (vorne hat er doch tatsächlich aus alten Kabeln noch ein paar Schnurrhaare angeklebt) und hinten drin ist so eine Spielwiese aus bräunlichen Cordkissen, falls er, wie er formuliert, „willfährige Bitches abgreifen“ kann. Seinen Tigerbulli nennt er deswegen in Abwesenheit von Damen (und meiner Meinung nach reichlich prosaisch!) gerne die Bumsburg. – Nicht, dass ihr jetzt glaubt, ich würde DJ Schnürschuh besser kennen, nein, er erzählt das gerne jedem, der nicht bei 5 auf den Bäumen ist.
Auf jeden Fall spielt er Cybotrons Alleys of you Mind und was von Blake Baxter oder Octave One. Das ist jetzt nicht so ganz meine Musik, aber die Bude ist ziemlich abgedunkelt, wir haben alle was Buntes im Glas und einer improvisiert auf seiner Sitar dazu, bis wir unisono überzeugt sind: das ist der Sound der Zukunft. Wir trinken aus neuen Gläsern andere bunte Sachen und essen Früchte, die in Wodka oder Absinth oder was auch immer eingelegt waren. Das schmeckt uns irgendwie. Verdammt, ja, und es zeigt auch Wirkung: Existenzielle Wesensmerkmale wie Faulheit und Muße kristallisieren sich aus der um sich greifenden Entschleunigungstaktik und einer schreit, kaum mehr bei Sinnen: "Durch die Nacht, die mich umfangen, blickt zu mir der Töne Licht." Die Sache war die: es ging uns nicht allzu schlecht.
DJ Schnürschuh fummelt sich unterdessen ein Mash up zusammen aus 'nem Stück von Underground Resistance und irgend einem symphonischen Tribal-Zeug, stapelt Loop auf Loop und Fläche auf Fläche – wirklich keine Ahnung, was das werden soll, wenns fertig ist.
Als es dann fertig ist, ist das ein ganz versponnener Track, der so richtig endlos mitten hinein in das Bewusstsein fährt, wie eine alte Dampflok, nur deeper, und gleichzeitig so eine Gemütlichkeit und ein Lass-dich-mal-reinfallen ausstrahlt, wie ein altes geliebtes Sofa, das man vor dem Sperrmüll gerettet hat, wo man dann mit seinem Hund zusammen drauf rum liegt und mit dem Fuß wippt und sich mit Fingerfarbe was richtig Nettes ins Gesicht malt. - - Wir erfahren einen Moment totaler Unschuld und ein besonders sensibles Mädel mit grünen Strähnen im Haar vergießt rythmisch ein paar heiße Tränen.
Alles in allem baut der gute alte Schnürschuh uns ein soundiges Zuhause und keiner will mehr weg, bis irgendwer ein Fenster aufmacht und man von draußen die blöden Vögel kreischen hört mit ihrem hektischen „Das-ist-jetzt-dieser-dolle-frische-Morgen“-Ding.
Schnürschuh dreht die rpm was runter und wir segeln auf einer Barke in eine behagliche Sonnenfinsternis, bis ich höre, wie er rumflüstert, wenn die Mädels jetzt müde wären, er hätte da ne total bequeme Liegefläche im Bulli, da wärs auch warm und man könnte es ganz dunkel machen, nein, das bereite ihm keine Umstände, ja, da sei auch Platz für drei.
Na denn, denke ich. Und zum Abschluss läuft, mit abgeregeltem Tempo und total hypnotisch Nine while nine, und Chrissi, ja Chrissi hat auch noch was ganz Leckeres zu rauchen da. Und während er mir mit nonchalanter Geste etwas davon rüber reicht sagt er "Die gesellschaftliche Wirklichkeit hat mit dieser Nacht absolut nichts zu tun, leider."

Mittwoch, 6. Juni 2012

Ja, ist denn schon Weihnachten?


Die neue französische Regierung unter François Hollande zieht den vor der Wahl vorgestellten Plan anscheinend durch. Erster Schritt: die Kürzung der eigenen Gehälter um 30%, damit verdient Hollande 70.000 € weniger als Sarkozy. Aber es kommt noch besser: zum Juli wird es einen Erlass geben, der die Spitzengehälter von Managern und Führungskräften der Staatsbetriebe und der Betriebe mit vorwiegend staatlicher Beteiligung begrenzt - und zwar auf das Zwanzigfache des niedrigsten gezahlten Lohns im jeweiligen Unternehmen.
Wo kämen wir denn da hin, wenn das Gehalt des Chefs an das eines einfachen Fließbandarbeiters gebunden wäre? Unverschämt, meinen Arbeitgeberverbände und verschiedene Konzernspitzen.
Und wie geht's weiter? Eben lese ich, dass Hollande ein weiteres Versprechen einlöst: Die auf viele Proteste getroffene "Rentenreform", aka Erhöhung des Rentenalters, wird teilweise zurückgenommen. Arbeitnehmer, die mindestens 41 Jahre eingezahlt haben, können wieder mit 60 Jahren in Rente gehen, Erziehungszeit wird stärker als bisher auf die Arbeitszeit angerechnet.
Das Ganze mausert sich allmählich zum handfesten Gegenentwurf zum Sozialabbau anderer EU-Staaten.
Wird das alles so klappen? Ich weiß es nicht. Aber es ist schön, dass es jemand versucht!

Dienstag, 5. Juni 2012

Bricolage exorbitant


Jeden Tag ein neues Kunstwerk, sagt der Vater zum Sohn und baut mit ihm aus einem alten Schuh, einer Miesmuschel, dem Fellbüschel eines Ozelots und etwas Fimo eine Büste von Andreas Baader, die sie mit Strohhut und Sonnenbrille verfeinern.
Das ist mir zu Pop, sagt der Sohn und versteckt das Ungetüm tags darauf beim Geocaching.
Bald basteln die beiden aus 4 Stunden fallendem Regen und 7 Kilo Straßenkreide einen Carport, der sich nicht verstecken muss. Der Vater fährt seinen verbeulten Polo darunter und beide wundern sich doch ein wenig, dass das Teil seinen Zweck ganz gut erfüllt.
Schnell konstruieren sie aus einer nicht unerheblichen Menge Himbeermarmelade, einem Päckchen Vanillinzucker, 28 Holzschrauben, 20 ml Terpentin und ein paar Säcken Blumenerde und Rindenmulch eine Fin-de-Siècle-Stadtvilla, in der sich ganz prima leben lässt.
Bei alledem, sagt der Vater, darfst Du nie vergessen, dass Bohrmaschine und Heißklebepistole die wichtigsten Segnungen der Menschheit sind!
Ich weiß, sagt der Sohn, solange die Gedanken nur kühn genug sind, lässt sich damit alles bewerkstelligen.
Eben!, sagt der Vater, Das ist der magische Idealismus. 
Und, fragt der Sohn, was stellen wir morgen an?
Da sagt der Angesprochene: Denk Dir was aus, wir haben hier noch eine alte Hundeleine, zwölf Quarkspeisen, die Armlehne eines Rattansessels, eine kaputte Uhr und jede Menge Pfandflaschen...

Sonntag, 3. Juni 2012

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Der helle Schlaf in blauem Morgen, eben noch raus an den See, die träumenden Enten erschrecken und mit Kreide Licht auf die Wege malen, vor dem Tagesanbruch weglaufen, die alte Dunkelkammerleuchte bemühen und an einen heißen Julitag denken, an eine Nacht ohne Ende, die man über ein Notizbuch gebeugt in einer staubigen Scheune zu Papier bringt.
Die Schritte und Kinderschuhe mit gebrochenen Sohlen, das Archiv aus lauter Gestern, wo Tage wie Dominosteine Spalier stehen und doch einer heraussticht. Und es gibt Neues und auch Unwiederbringliches, bei dem alle Technologie nichts nützt, die Aufzeichnungen leiser werden, wie durch Jahre verrauschte alte Magnetbänder.
Man trinkt ja aus Prinzip keinen Magenbitter, aber wenn nichts anderes im Haus ist, nun ja, dann könnte man damit vielleicht ein mnemotechnisches Wunder vollbringen, den Gedächtnispalast betreten, die Kette der Augenblicke rekonstruieren, die sich, Herzschlag auf Herzschlag, an dieses unbedingte Gefühl von Abenteuer annähern, welches mir damals, in der Julihitze der alten Waschküche meiner Großeltern im Erinnern den Atem stocken ließ.

Donnerstag, 31. Mai 2012

Keep it real: Klassenkampf reloaded


Die letzten 10 Jahre sahen in Westeuropa mehr Revolten, mehr Aufstände als die 1960er und 1970er. 
Einige Beispiele: 
I. Segregation und Ghettoisierung bleiben in Frankreich nicht ohne Folgen. Ab 2005 brennen die Pariser Banlieus: blind explodierende Gewalt ist der Ausdruck lange schwelender Wut, die auch in mindestens fünfzehn anderen Départements zu Ausschreitungen führt. 
II. Die 2006 beginnenden Revolten um den Erhalt des Ungdomhuset in Kopenhagen ziehen einen Graben durch die Dänische Gesellschaft. 
III. Die griechischen Proteste aus dem Jahr 2008, nach der Erschießung eines 15jährigen durch die Polizei, die sich in Athen zu Demonstrationen mit bis zu 150.000 Teilnehmern auswachsen – dazu ein 48stündiger Generalstreik –,  richten sich gegen die aktuelle Globalisierungs- und Wirtschaftspolitik und eine Gesellschaft die soziale Gerechtigkeit nicht einmal mehr buchstabieren kann. Im Gegenzug präsentieren uns deutsche Medien den „faulen Griechen“, für den wir alle zahlen sollen. Das System Europa braucht immer einen Schuldigen. Und es beruhigt das Prekariat, wenn es – abgelenkt von systemischen Fehlern – den Schuldigen im Fremden erblicken kann. (BILD: „Die Griechen machen unseren Euro kaputt!“)*
IV. Schließlich ab Mai 2011 die Massendemonstrationen in Spanien, 70 Städte sind betroffen, Hunderttausende sind unterwegs gegen eine Politik die Milliarden für die Rettung von Großbanken verbrennt, aber weder in Bildung noch soziale Gerechtigkeit investieren kann. Nach fast zwei Wochen friedlichen Widerstands, räumt die spanische Polizei den Plaza de Cataluna in Barcelona, 120 schwer verletzte Demonstranten sind die Folge. Begründung: Der Platz solle für Reinigungskräfte frei gemacht werden.

Die Natur dieser unterschiedlichen Formen des Aufbegehrens lässt sich nicht vergleichen. Diejenigen, die zum Angriff übergehen, sind keine homogene Gruppe, das Mittel der Gewalt gegen Menschen, egal von welcher Seite, nicht zu rechtfertigen. Doch eine Eskalation funktioniert fast immer nach dem Ping-Pong-Prinzip.
Die Fassade des sozialen Friedens in Europa bekommt Risse. Die westlichen „Demokratien“ können und wollen das Gleichheitsversprechen längst nicht mehr einlösen. In dem Moment, in dem Regierungen nicht mehr für die Regierten stehen, bleibt das staatliche Machtmonopol ohne Legitimation.
Solange sogenannte Volksherrschaften sich aushöhlen lassen und international und weltumspannend operierende Konzerne mehr Macht in sich konzentrieren als gewählte Regierungen, solange der Neoliberalismus über Ethik und Moral erhaben ist, darf sich niemand wundern, wenn die Gewalt schließlich ganz wörtlich vom Volke ausgeht.


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*Welche Hetze hier über Monate planmäßig ausgebreitet wird, ist tatsächlich nur schwer erträglich. Die Verfehlungen deutscher Fiskal- und Finanzpolitik und die Vorwürfe, die diesbezüglich im Ausland erhoben werden, kommen uns im Gegenzug leider nur selten zu Ohren. Ebensogut könnte man behaupten, Deutschland schade der gemeinsamen Währung durch die konsequente Unterschreitung des Inflationszieles und die zugehörige Lohnzurückhaltung. Das würde aber an dieser Stelle wirklich zu weit führen…

Sonntag, 27. Mai 2012

Die Yes Men regeln die Welt

Kreative Möglichkeiten des Widerstands, dargeboten von den Eulenspiegeln der Desinformation. Kommunikationsguerilla und Culture Jamming gegen den Nachrichtenfluss medialer Selbstverstümmelung. Europäische Nachahmungstäter sehr erwünscht!