Die letzten 10 Jahre sahen in Westeuropa mehr Revolten, mehr
Aufstände als die 1960er und 1970er.
Einige Beispiele:
I. Segregation und
Ghettoisierung bleiben in Frankreich nicht ohne Folgen. Ab 2005 brennen die
Pariser Banlieus: blind explodierende Gewalt ist der Ausdruck lange schwelender
Wut, die auch in mindestens fünfzehn anderen Départements zu
Ausschreitungen führt.
II. Die 2006 beginnenden Revolten um den Erhalt des
Ungdomhuset in Kopenhagen ziehen einen Graben durch die Dänische Gesellschaft.
III. Die griechischen Proteste aus dem Jahr 2008, nach der Erschießung eines 15jährigen
durch die Polizei, die sich in Athen zu Demonstrationen mit bis zu 150.000
Teilnehmern auswachsen – dazu ein 48stündiger Generalstreik –, richten sich gegen die aktuelle Globalisierungs-
und Wirtschaftspolitik und eine Gesellschaft die soziale Gerechtigkeit nicht einmal
mehr buchstabieren kann. Im Gegenzug präsentieren uns deutsche Medien den „faulen
Griechen“, für den wir alle zahlen sollen. Das System Europa braucht immer
einen Schuldigen. Und es beruhigt das Prekariat, wenn es – abgelenkt von
systemischen Fehlern – den Schuldigen im Fremden erblicken kann. (BILD: „Die Griechen
machen unseren Euro kaputt!“)*
IV. Schließlich ab Mai 2011 die Massendemonstrationen in
Spanien, 70 Städte sind betroffen, Hunderttausende sind unterwegs gegen eine Politik die Milliarden für die Rettung von Großbanken verbrennt, aber weder in
Bildung noch soziale Gerechtigkeit investieren kann. Nach fast zwei Wochen
friedlichen Widerstands, räumt die spanische Polizei den Plaza de Cataluna in Barcelona, 120 schwer
verletzte Demonstranten sind die Folge. Begründung: Der Platz solle für
Reinigungskräfte frei gemacht werden.
Die Natur dieser unterschiedlichen Formen des Aufbegehrens
lässt sich nicht vergleichen. Diejenigen, die zum Angriff übergehen, sind keine
homogene Gruppe, das Mittel der Gewalt gegen Menschen, egal von welcher Seite,
nicht zu rechtfertigen. Doch eine Eskalation funktioniert fast immer nach dem
Ping-Pong-Prinzip.
Die Fassade des sozialen Friedens in Europa bekommt Risse. Die
westlichen „Demokratien“ können und wollen das Gleichheitsversprechen längst
nicht mehr einlösen. In dem Moment, in dem Regierungen nicht mehr für die
Regierten stehen, bleibt das staatliche Machtmonopol ohne Legitimation.
Solange sogenannte Volksherrschaften sich aushöhlen lassen und international und
weltumspannend operierende Konzerne mehr Macht in sich konzentrieren als gewählte
Regierungen, solange der Neoliberalismus über Ethik und Moral erhaben ist, darf
sich niemand wundern, wenn die Gewalt schließlich ganz wörtlich vom Volke
ausgeht.
*Welche Hetze hier über Monate planmäßig ausgebreitet wird,
ist tatsächlich nur schwer erträglich. Die Verfehlungen deutscher Fiskal- und Finanzpolitik und
die Vorwürfe, die diesbezüglich im Ausland erhoben werden, kommen uns im Gegenzug
leider nur selten zu Ohren. Ebensogut könnte man behaupten, Deutschland schade
der gemeinsamen Währung durch die konsequente Unterschreitung des
Inflationszieles und die zugehörige Lohnzurückhaltung. Das würde aber an dieser
Stelle wirklich zu weit führen…
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen